Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

508 Der Kampf um den Frieden im Osten und Wilsons 14 Punkte 
Staat oder für die Aufrichtung eines eigenen Staatswesens zu entscheiden, 
in Gebieten gemischter Nationalität müsse das Recht der Minderheit ge¬ 
setzlich geschützt werden, koloniale Fragen sollten unter Beachtung dieser 
Grundsätze entschieden und cs dürften keine Kriegskosten von Land zu Land 
erhoben werden. 
Die Mittelmächte bezeichneten diese Leitsätze als „diskutable Grund¬ 
lagen zum Abschluß eines allgemeinen, gerechten Friedens". Sie bequemten 
sich zu diesem Schritt, obwohl sie erkannten, daß auch in diesen Leitsätzen 
lausend Gefahren schliefen, die sich gegen den Bestand und die Errungen¬ 
schaften ihrer eigenen Staaten kehrten, denn sie konnten in diesem Augen¬ 
blick nicht den Makel auf sich nehmen, der mit der Verleugnung so er¬ 
habener Grundsätze verbunden war. 
Als die russischen Kommunisten diese Thesen nach Brest-Litowsk trugen 
und zur Grundlage der Verhandlungen machten, gaben sie sich als über¬ 
legene Dialektiker zu erkennen. Sie zwangen die Vertreter der Mittelmächte, 
sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und beherrschten fortan das diplomatische 
Spiel. 
Vergeblich bemühten sich die Vettreter der Mittelmächte, die russischen 
Thesen so auszulegen, daß die idealen Grundsätze mit den realen machtpolitischen 
Verhältnissen in Übereinstimmung gebracht werden konnten, indem sie er- 
klätten, daß man mit einem allgemeinen Frieden ohne gewaltsame Gebiets¬ 
erwerbungen und ohne Kriegsentschädigungen einverstanden sei, wenn sich 
alle kriegführenden Mächte ohne Rückhalt zur genauesten Beobachtung 
der alle Völker in gleicher Weise bindenden Bedingungen verpflichteten. 
Sie waren gezwungen beizufügen, daß die Frage der staatlichen Zugehörig¬ 
keit nationaler Gruppen, die keine staatliche Selbständigkeit besäßen, nicht 
zwischenstaatlich geregelt werden könne, sondern im gegebenen Fall von 
jedem Teil mit seinen Völkern selbständig auf verfassungsmäßigem Wege 
gelöst werden müsse, und daß der Schutz des Rechts der Minderheiten einen 
wesentlichen Teil des verfassungsmäßigen Selbstbestimmungsrechtes der 
Völker bilde und von den Regierungen des Vierbundes wahrgenommen 
werde, soweit das praktisch durchführbar erscheine. 
Das Dilemma, in dem die dialektische Kunst der Russen die Diplo¬ 
maten der Mittelmächte verstrickt hatte, wurde durch diese gewundene 
Auslegung nur noch offenkundiger. Nahmen Deutschland, österreich-Angarn, 
Bulgarien und die Türkei die Grundsätze ohne Einschränkung an, so 
sprengten sie ihre eigenen Grenzen, aus denen Polen, Elsässer, Lothringer, 
Italiener, Serben, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Griechen, Armenier 
und Araber hinausdrängten, um sich anderen Nationen anzuschließen oder 
eigene Staatsgebilde aufzurichten. Lehnten die Mittelmächte die Grund¬ 
forderungen der Bolschewisten ab, so zogen sie sich nicht nur die Mi߬ 
billigung der West zu, sondern beraubten sich auch der Möglichkest, die
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.