Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

Die Friedensverhandlungen von Brest-LiLowsk 
russische Revolution hatte den Rahmen des nationalen Staates ge° 
sprengt. Als die kommunistische Partei sich im November 1917 der 
Herrschaft bemächtigte und Kerenfty zur Flucht genötigt wurde, erlosch der 
letzte Schein kriegerischen Wesens in den russischen Schützengräben. Am 
23. November sandten die neuen Gewalthaber, der Vorsitzende des Rates 
der Volkskommissäre Lenin und der Kommissar für auswärtige Angelegen¬ 
heiten Trotzki, einen Funkspruch in die Welt, der einen allseitigen Waffenstill¬ 
stand und die Einleitung allgemeiner Friedensverhandlungen vorschlug. Da die 
Wefimächte die Berührung mit der proletarischen Bewegung scheuten und 
auf die Fortsetzung des Krieges eingeschworen waren, fand der Funkspruch 
nur bei den Mittelmächten Widerhall. Am 7. Dezember wurde zwischen 
Rußland und dem Vierbund eine zehntägige Waffenruhe vereinbart, der am 
15. Dezember der Abschluß eines 21tägigen Waffenstillstandes zur Lerbei- 
führung des Friedens folgte. Die Verhandlungen wurden in Bresi-Litowsk, 
am Sitze des deutschen Oberbefehlshabers des Ostens gefühtt, begannen 
am 22.Dezember und zogen sich mit Unterbrechungen bis zum lO.Februar hin, 
ohne zum Frieden zu reifen. Sie waren von vornherein zum Scheitern ver- 
urteilt, denn die Parteien traten mit unvereinbaren politischen Grundsätzen, 
Anschauungen und Zwecken an den Verhandlungstisch. 
Die russischen Machthaber waren nicht gesonnen, den Krieg fottzusetzen, 
dessen sie sich entledigen mußten, um die soziale Revolution im Schoße Ru߬ 
lands durchzuführen, hatten aber nicht den Willen, mit den Gegnern des 
alten Rußlands in Frieden und Freundschaft zu leben, sondern waren und 
blieben als Vettreter der internationalen kommunistischen Bewegung deren 
Feinde. Sie suchten die günstigsten Bedingungen zu erlangen, ohne ihre 
grundsätzliche Feindschaft aufzugeben, und benutzten die Verhandlungen, 
ihre kommunistischen Glaubenssätze von der Brest-Litowsker Tribüne über 
die Köpfe der Unterhändler in die Welt zu rufen. Da sie als Grundlage der 
Verhandlungen sechs Thesen aufgestellt hatten, deren allgemeine Fassung 
idealen Forderungen Raum ließ, fanden sie das Ohr aller, deren Gewissen 
durch die Greuel des Krieges aufgerüttelt worden war. Sie erklätten, es 
dürfe keine gewaltsame Aneignung von Gebieten stattfinden, die während 
des Krieges besetzt worden seien, die politische Selbständigkeit im Kriege 
unterworfener Völker müsse wieder hergestellt werden, nationalen Gruppen, 
die vor dem Kriege politisch nicht selbständig gewesen seien, solle die Mög¬ 
lichkeit gewährleistet werden, sich ftei für den Anschluß an diesen oder jenen
	        
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