Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

442 Der Feldzug in Italien vom 22.Mai 1915 bis 30. Dez. 1917 
den Isonzo südwärts zwingend, die steile, wolkenüberhangene Mauer 
des Stol. 
Krauß heftete den Blick auf die im Dunst verschwindenden Mauern 
Sagas. Saga war das Ziel des Talstoßes. Drang der Angriff im Tal 
durch, erstieg er, vom ersten Schwung getragen, die Schlüsselstellung des 
Stol, so fielen alle vorgeschobenen Bergfesten von selbst, und das ganze amphi. 
theatralisch aufgebaute Stellungssystem des Italieners geriet ins Wanken. 
Während Krauß diesen Angriffsgedanken zu gestalten suchte und der 
österreichischen Leeresleitung durch Bitten und Beschwerden Artillerie und 
Munition zur Durchführung des Angriffes abrang, stellte Krafft v. Dellmen- 
fingen die Masse der Armee bei Tolmein zum Sturm bereit. Die deutschen 
Korps sammelten sich dicht unter den Augen des Feindes, der wohl wußte, 
daß sich einWetter zusammenzog, aber keinen Einblick in dieAbsichtenBelows 
gewann und vom Krn, vom Kolowratrücken, vom hochragendenMatajm 
und von der Korada zuversichtlich in die Täler blickte. In den Fels gesprengte, 
aus Beton gegossene Gräben, dreifach gegliederte Stellungen, auf alle Ziele 
und Anmarschwege eingeschossene Batterien, zahlreiche Talsperren und 
Gipfelschanzen, ein ungeheuerer Park von Kraftwagen, groß« Lager hinter 
der Front und ein engmaschiges Netz gepflegter Straßen setzten die Italiener 
in den Stand, dem Angriff gelassen entgegenzusehen. Sie hatten die Pässe, 
die aus den Julischen Alpen in die lachenden Fluren Friauls führten, nicht 
gewonnen, um sie leichten Kaufes preiszugeben. „Mögen sie kommen, die 
Enkel Armins, sie werden nicht mehr des Barus Legionäre findenI" rief der 
Verteidiger Sagas, Generalleutnant Cavaciochi, der Führer des IV. Korps, 
seinen Truppen zu. „Der Feind findet uns fest und gut vorbereitet," schrieb 
Cadorna, der seine eigenen Angriffsv orbereitungen unterbrochen hatte und 
bei Adine und Cormons Abwehrdivisionen zusammenzog, an das Mini¬ 
sterium nach Rom. Aber die Worte kamen aus gepreßten Lerzen. Das Er¬ 
scheinen der Deutschen erfüllte das italienische Leer mit geheimem Bangen. 
Als an den Görzer Brücken die Leiche eines deutschen Pioniers ge¬ 
kündet wurde, der bei Tolmein von der Strömung mitgerissen worden war, 
lief Anruhe die ganze Front entlang. D er namenlose T ote brachte denSchrecken 
des deutschen Namens über den Feind. Aber die Stunde des Angriffs wollte 
nicht schlagen. Das Wetter hatte sich den Italienern verbündet. Die Sonne, 
die im September noch klar und voll über den Bergen aufgegangen war, 
wurde im Oktober von Regenwolken verschlungen. Schwere Güsse stürzten 
herab und füllten die Rinnsale der schroffen, nackten Bergstöcke. Schnee¬ 
stürme peitschten den Rombon, färbten den Canin und den Krn weiß und 
wälzten Lawinen und Steinschläge in die dunklen Schrunden. Der Stol 
und der Matajur tauchten ins Gewölk, die Karrenwege wurden unfahrbar, 
der Aufmarsch der Artillerie geriet ins Stocken, die Flieger konnten nicht 
mehr steigen.
	        
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