Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

438 Der Feldzug in Italien vom 22.Mai 1915 bis ZO.Dez. 1917 
Obwohl dem österreichischen Angriffsfeldzug keine weitausschauende 
Idee zugrunde lag, schlummerte darin die Möglichkeit, zu einer gewaltigen 
Operation zu gelangen, denn der Aufbau der Schlachtfront wies aus 
Auffassung hin, wenn deutsche Schlagkraft am Bewegungsflügel eingesetzt 
wurde« Dann konnte der Tagliamento, der an sich kein Operationsziel, 
sondern nur eine geographische Tiefenlinie war, zu einer strategischen Be¬ 
wegungslinie werden. Dazu bedurfte es nur einer Einschwenkung des mar¬ 
schierenden Nordflügels nach Süden. Rückten die Deutschen nach Durch¬ 
brechung der Iulischen Alpen am Tagliamento abwärts, solange Capello 
und der L erzog von Aosta, von Boroevic gefesselt, noch auf den« Ostufer 
des Isonzo im Karstgestein standen, so konnte die Masse der 2. und 3. Armee 
unter Umständen vom Rückzug abgeschnitten und zwischen Isonzo und Taglia¬ 
mento vernichtet werden. Man konnte sogar noch größere Hoffnungen hegen. 
Befteite Karl sich von der Vorstellung, an den Afern des Isonzo zu schlagen, 
um den Angriffsflügel Cadornas zu zertrümmern, und ging sein Blick, 
ungetrübt von politischen Rücksichten, über den Tagliamento hinaus, so 
winkte ihm — wenn Rüstung und Stoßkraft ausreichten —- in idealer Ferne 
die klassische Etschlinie als strategisches Ziel. Freilich galt es, die Etschlinie 
nicht im frontalen Vorstürmen, sondern im Zusammenwirken der Isonzo- 
armeen und der Tiroler Armeen zu gewinnen, nachdem das italienische Leer 
im venetischen Sack geschlagen, gefangen und zersprengt worden war. Gelang 
dies, so schied Italien aus dem Felde. Doch daran war kaum zu denken. Die 
Kräfte Osterreich-Angarns waren trotz des Beistandes Deutschland solcher 
bergeversehenden Taten nicht mehr fähig. Was Conrad und Falkenhayn im 
Frühling 1916 vereint noch hätten wagen können — einen Doppelangriff 
am Isonzo und am Gardasee mit dem idealen Ziele aller Strategie, der 
Vernichtung der feindlichen Leeresmacht, die sich in diesem Falle zur Zer¬ 
trümmerung des feindlichen Koalitionsringes an der verwundbarsten Stelle 
gestaltet hätte —■ das konnten die verbündeten Leeresleitungen im Spät¬ 
herbst des Jahres 1917 nach den Kämpfen bei Asiago, Verdun, Luzk und 
Okna, nach den Schlachten an der Somme, an der Searpe, an der 
Aisne, am Isonzo, nach dem Feldzug in Rumänien und angesichts der 
Engländerschlachten um die 17-Bootbasis in Flandern nicht mehr aus 
sich nehmen. 
Daß die österreichische Leeresleitung das Ziel allzu niedrig, allzu nahe 
steckte, lag in Karls und Czernins Politik und in der Überschätzung der 
feindlichen Operationsfähigkeit begründet. Freilich— taktisch verlangte der 
Angriff, der sich den Tagliamento als Ziel setzte, das Löchste, und es liegt 
nahe zu vermuten, daß einzig das Vertrauen auf deutsche Kraft und 
Führung der österreichischen Operationskanzlei die Feder lenkte, als sie die 
Entwürfe zur Durchbrechung der Iulischen Alpen aufzeichnete. Dieses 
Verttauen wurde nicht getäuscht..
	        
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