Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Dritter Band. (3 ; 1919)

10 Der Seekrieg vom 2. August 1914 bis 24. Februar 1915 
Teil seiner eigenen Armada aufs Spiel sehen müßte, um in diesem Kriege 
obzusiegen. Diese Schlußfolgerung hat sich sowohl in politischer als auch in 
strategischer Beziehung als falsch erwiesen. England scheute dieses Wagnis 
ebensowenig, wie es den Wettbau gescheut hatte, bei dem es zur Schaffung 
einer Großkampfflotte von ungeahnten Ausmaßen übergegangen war. 
Die Politik Edwards VII. erleichterte England dieses Wettrüsten, 
denn England verfügte seit dem Abschluß der Entente cordiale im strategi. 
schen Sinne über die Flotte Frankreichs. Auch die Schlußfolgerung, daß 
England seine Armada aufs Spiel sehen müsse, um der deutschen Flotte Lerr 
zu werden, traf nur unter gewissen Boraussehungen zu. Sie gründete sich 
wohl auf die Tatsache, daß die britische Seestrategie seit mehr als hundert 
Jahren das Clausewihsche Vernichtungsprinzip vertrat und stets darauf 
ausgegangen war, den Gegner zum Kampf herauszufordern, mit Übermacht 
anzugreifen und vom Meere zu vertilgen. Man übersah, daß die Strategie 
der britischen Admiralität keine souveräne war, sondern wie ihr Instrument, 
die Flotte, der Staatskunst dienstbar wurde. Forderte diese, daß die britische 
Flotte nicht aufs Spiel gesetzt werde, so erfuhr die Strategie eine Änderung 
in dem Sinne, daß die Admiralität erwog, wie der Feind bezwungen werden 
könne, ohne die eigene Armada, dieses kpstbare Werkzeug der britischen 
Weltpolitik, einer gefährlichen Schwächung auszusehen. 
Es fehlt nicht an Beispielen in der britischen Seekriegsgeschichte, die 
von einer solchen risikolosen Strategie berichten. Latte doch Admiral Lord 
Torrington schon im Jahre 1690 — also in der Frühzeit britischer Seeherr¬ 
schast— den Ausdruck „fleet in beeing" geprägt, als Rechtfertigung einer 
Strategie, die durch das stumme Vorhandensein der Flotte und zuwartendes 
Verhalten den Sieg erringt, ohne die Flotte aufs Spiel zu sehen. Wurde 
der Grundsatz der „fleet in beeing" im Jahre 1914 hervorgeholt, um die 
englische Armada über den Krieg hinaus zu erhalten, so war die deutsche 
Berechnung falsch. Das sollte die deutsche Flotte bald erfahren. 
Verglichen mit den Briten, die das Weltmeer als einen Binnensee 
betrachten konnten, der überall an englisches Äser schlug, schwammen die 
Deutschen fremd und heimatlos auf der See, denn sie besaßen auf der weiten 
Erde nur einen einzigen befestigten Stützpunkt, das entlegene Tsingtau. And 
Tsingtau war zwar ein treMcher Lasen, eine aufblühende Landelsstation 
und eine von der Natur mit köstlichen Reizen geschmückte Stadt, aber kein 
Exponent ausschauender Weltpolitik. Das Pachtgebiet von Kiautschou, 
Bülows „Platz an der Sonne", konnte nur gedeihen, wenn Deutschland mit 
England zusammenging und Japan sich mit der Niederlassung Deutschlands 
in seiner Interessensphäre abfand. Das war nicht geschehen. 
So blieb als einziger wirklicher Flottenstützpunkt nur noch Lelgoland, 
das indes nichts anderes war als ein vorgeschobener Posten, eine schwim¬ 
mende Batterie, die den Aufmarsch der Flotte sichern, den leichten See-
	        
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