Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Zweiter Band. (2, 1917)

340 Der Feldzug im Osten vom 6. Nov. bis 17. Dez. 1914 
Skierniewice und trotz der Gegenumfassung von Brzeziny die Initiative 
und die Überlegenheit nicht zu entreißen. Der Einbruch in seine rechte Flanke, 
der Druck auf seine natürlichen Rückzugsstraßen und die Anerschütter lich- 
keit der Krakauer Front übten eine so große Wirkung aus, daß die ganze 
Angriffsbewegung der Russen zum Stillstand gelangte. Als man südlich von 
Thorn zum Schlagen kam, erwuchs Lindenburg aus der Gunst der eigenen 
Operationslage eine Sicherheit des taktischen Landelns, die alsbald auf alle 
seine Generale und Anterführer überging, das Leer mit der vollen Lin- 
gebung an die Sache erfüllte und sich in keinem noch so kritischen Augenblick 
dieses titanischen Ringens um die Flanken und dieses ermüdenden Kampfes 
mit vielfacher Abermacht verleugnet hat. Der Durchbruch von Brzeziny wird 
ewig ein leuchtendes Beispiel solch kraftvollen Erfassens und Meisterns 
der Lage bleiben. 
Moltke hat in seiner 1859 niedergeschriebenen Betrachtung über den 
Wert der Thorner Flankenstellung den grundlegenden Satz aufgestellt: 
„Eine Flankenstellung bei Thorn deckt gewiß Berlin gegen einen von Warschau 
über Slupce vorrückenden Feind." Dieser Aufsatz ist nicht verlorengegangen, 
sondern hat im deutschen Generalstab seinen Platz behalten. Er ist noch im 
Jahre 1912 von General v. Briefen in den „Jahrbüchern für die deutsche 
Armee und die Marine" zum Gegenstand einer Antersuchung gemacht worden, 
welche die Moltkesche These mit einer russischen Offensive von modernem 
Zuschnitt in Beziehung brachte. 
Als Lindenburg berufen wurde, den Funken zur Flamme zu entfachen, 
der in dem Moltkeschen Gedanken untilgbar weiterglühte, und die Wieder¬ 
aufnahme des polnischen Feldzuges auf die Thorner Flankenstellung stützte, 
handelte es sich in der Tat nicht mehr um einen Feind, der mit einigen Korps 
auf einer oder zwei Straßen von Warschau über Slupce vorrückte, sondern 
um ein Leer, das von Schirwindt bis zum Azsoker Paß ausgebreitet stand und 
seine mittlere Angriffsgruppe als Stoßarmee von 40 Korps auf allen Straßen 
Westpolens gegen die Linie Posen—Krakau vortrieb. Trotzdem ist die 
Thorner Flankenstellung im Sinne Moltkes wirksam geworden, und zwar 
wirkte sie nicht nur als Bedrohung und Druck auf die Verbindungen, sondern 
gebar einen Gegenangriff, der dem Gegner das blitzende Vergeltungsschwert 
Ais zum Lest in die verwundbare Flanke stieß. 
And wiederum eilt der Gedanke nach Tannenberg zurück und erkennt, 
daß durch die Vernichtung Samsonows und die Vertreibung Rennenkampfs 
nicht nur Ostpreußen befreit worden ist —- was ein Nebenzweck der Krieg¬ 
führung war —, nicht nur der rechte Flügel der Russen gelähmt und Linden¬ 
burg befähigt wurde, am 15. September nach Südpolen zu rücken, um den 
Feldzug in Galizien wiederherzustellen, sondern daß dadurch erst die Durch¬ 
führung des polnischen Feldzuges und die Abwehr der entscheidend gedachten 
russischen Angriffsbewegung aus dem polnischen Mittelraum ermöglicht und
	        
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