Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Zweiter Band. (2, 1917)

260 Der Feldzug im Osten vom 6. Nov. bis 17. Dez. 1914 
die Mährische Senke zu verteidigen. Die Angriffskrast der Österreicher schien 
für immer gebrochen, die der Deutschen auf längere Zeit gelähmt zu sein. 
Bevor den Deutschen die Kraft nachwuchs, mußte der Anprall der russischen 
Armeen den Kordon zerreißen, zu dem Lindenburg seine gelichteten Korps 
geknüpft hatte, um Schlesien zu decken und die Verteidigung zu fristen. 
Sah man im Lager Nikolais die Lage am 6. November so an, so handelte 
man folgerichtig, als man die Masse des Leeres zum Vorstoß auf die Warta 
ballte. General v. Rennenkampf wurde angewiesen, die deutschen Streitkräfte 
im Norden inzwischen zu fesseln, zu bedrängen und zu schlagen. Dadurch 
wurden die letzten Kräfte, die Lindenburg noch an sich ziehen konnte, ge¬ 
bunden und auch jene deutschen Truppen beschäftigt, die noch bei Mlawa 
standen und die Nordflanke der russischen Armeemasse zu beunruhigen suchten. 
Auch im Süden des Kriegstheaters erschien dem russischen Generalstab 
die Lage in günstigem Lichte. In der Bukowina wichen die Divisionen 
Pflanzer-Baltins aus den Tälern gegen die Pässe, und imDnjestrtal war man 
aller Wege und Bahnen Lerr. Das Korps Lofmann und Tersztyanskis 
Flügelgruppe mußten sich abermals auf die Verteidigung der Karpathen¬ 
pässe beschränken. Alles Land östlich des großen Waldgebirges war ihnen 
verloren gegangen. Nun war General Iwanow als Führer der galizischen 
Armeen gehalten, den abziehenden Armeen Voehm-Ermollis, Boroevies 
und Josef Ferdinands dichtauf zu folgen und ihnen möglichst Abbruch zu tun. 
Auf dem prächtigen Schienennetz, das von Wilna bis Czernowih 
geknüpft lag, und auf allen galizischen Landstraßen zogen immer noch 
Verstärkungen aus Wolhynien und Podolien heran und füllten den Rahmen 
der Riesenarmee, die gegen Mitteleuropa in Bewegung war. Die neue 
russische Kampfgliederung war durch die Abwehr des Lindenburgschen 
Flankenstoßes gegen die Weichsel bestimmt worden. Der Großfürst hatte 
seine Armeen vollständig durcheinanderwirbeln müssen, um die Weichsellinie 
zu schützen, und war nur dadurch instand gesetzt worden, die Angriffs¬ 
masse zu bilden, die er nun im Zentrum vorführte. Auf den Flügeln, 
wo er zu Beginn des Krieges die Entscheidung gesucht hatte, fochten ge¬ 
ringere Kräfte. 
Am äußersten rechten Flügel kämpfte nach wie vor die aus acht Linien¬ 
korps und verschiedenen Reservedivisionen gebildete 10. Armee. Sie stand 
am 3. November mit den Lauptkräften in der Linie Schirwindt—Bialla 
und hielt die 8. Armee gefesselt, konnte aber den Druck, den sie auf den Gegner 
ausübte, nicht so verstärken, daß er gezwungen worden wäre, seine Stellungen 
an den masurischen Seen und den Afern der Angerapp zu räumen. 
Links anschließend stand in dem Raume, der durch den Narew und die 
Bzura bestimmt wird, zwischen Prasznysz und Kutno die 1. Armee, die 
sieben Korps umfaßte und gegen Norden und Nordwesten Front machte. Die 
Armee zerfiel in zwei Kampfgruppen, die an Nowogeorgiewsk einen starken
	        
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