Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Zweiter Band. (2, 1917)

194 Der Feldzug im Osten vom 12. Sept. bis 5. Nov. 1914 
ungarischen Armeen aufgehoben werden mußte. Aber mit der Größe lag 
auch die Last des Entschlusses, der in diesem Abschnitt der Entwicklung gefaßt 
werden mußte, auf der deutschen Leeresleitung. Sie hatte nicht nur den 
Entschluß selbst zu fassen, sondern auch sofort festzustellen, wie er strategisch 
näher bestimmt werden könne, ob durch Verharren in der Verteidigung an 
der Weichsel oder durch Wiederaufnahme des Angriffes in anderer Richtung. 
And da ist nun zu Radom eine Entscheidung getroffen worden, die als eine 
Steigerung des ersten Angriffsgedankens erscheint und den Österreichern 
zugleich Frist zur Fortsetzung der großen Angriffsbewegung am San und 
Dnjestr sicherte. 
Als dieser Entschluß im deutschen Feldlager zur Tat gedieh, befand 
sich der Großfürst noch im vollen Besitz seiner Machtmittel, obwohl seine 
Armeen von Turka bis Kazimierz in die Verteidigung gedrängt waren 
und zwischen Rowo-Alexandrija und Iwangorod vergebliche Anstrengungen 
machten, aus den Brückenköpfen der Weichsel hervorzubrechen. Er wußte, 
daß er in der Lage war, bei Warschau in kürzester Zeit eine Armeemasse zu 
ballen, die eine Amfassung von nie gesehener Mächtigkeit und Ausdehnung 
ausführen konnte, und sah die Deutschen im Geiste bereits in eine Schlacht 
verwickelt, die sie mit halbverwandter Front ausfechten mußten. Er wollte 
sie ihnen auferlegen, um sie von ihren Verbindungen abzudrängen und auf 
die obere Weichsel zu werfen, wo ihrer und der Österreicher trotz Lindenburgs 
die Katastrophe harrte. 
Die russische Leeresleitung konnte die letzten Vorkehrungen zu dieser 
großangelegten Anternehmung in völliger Kenntnis der auf beiden Seiten 
herrschenden Verhältnisse und im ungestörten Besitz ihrer vortrefflichen 
Verbindungen treffen, während die deutsche Leeresleitung in noch höherem 
Maße als die österreichisch-ungarische von unbekannten Verhältnissen um¬ 
geben war, als sie am 8. Oktober vom Wägen zum Wagen schritt. Der 
neugeborene Entschluß verdichtete sich im Lauptquartier Lindenburgs mit 
divinatorischer Sicherheit zu blitzschneller Tat und kam dem schwerfälligen 
Feind abermals zuvor. And zwar geschah gerade das, was der Gegner am 
wenigsten erwartete und, am Normalmaß strategischer Erwägung gemessen, 
kaum erwarten konnte. Lindenburg beschloß einen Vorstoß auf Warschau. 
Es war ein Stoß, der mit allen verfügbaren Kräften durchgeführt werden 
und aus der Parade einen Lieb machen sollte. 
Der Feldherr, der mit wenig mehr als zwölf Divisionen aus Schlesien 
aufgebrochen war und das im siegreichen Vormarsch begriffene Leer Ru߬ 
lands durch ein strategisches Flankenmanöver aufgehalten und abgelenkt 
hatte, am 8. Oktober vor Iwangorod stand und die Weichselfestung mit 
allen Kräften berannte, entschied sich noch einmal zu einer Bewegung nach 
vorn, obwohl das Schwergewicht am San lag und Erzherzog Friedrich 
nunmehr den Lauptangriff zu führen hatte. Lindenburg hatte schon viel
	        
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