Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

61 
letzten Schrei des Versinkenden hören? Und wenn sie ihn hörten und 
herbeieilten — der Wald ist schweigsam und hält sein Opfer fest in 
kühlem Schoß. 
Manches Getier bevölkert den Wald, Füchse, Rehwild, Hasen, 
Fasanen. Aber am heimatlichsten fühlen sich darin doch die Kaninchen 
und die Ratten. Sie führen miteinander einen lautlosen und erbitterten 
Krieg unter dem Wurzelwerk der Stämme und an den Böschungen der 
Wasserläufe. Eigentlich ist dieser Krieg nur ein einseitiger, denn man 
hat noch nicht gehört, daß ein Karnickel einer Ratte die Kehle durch- 
bissen habe. Aber was die Mordlust der Ratten versündigt, macht die 
Fruchtbarkeit der Kaninchen wieder gut, und die Natur sorgt durch ein 
brutales Prinzip dafür, daß die einen nicht verhungern und die anderen 
nicht aussterben. Ja, es müssen doch auch die Karnickel bei dieser Rech- 
nung auf ihre Kosten kommen, denn sonst wären sie wohl längst ausge- 
wandert. 
Zwischen den Füchsen und den Hasen ist es nicht anders, selbst die 
Rehe werden von dieser natürlichen Waldordnung betroffen. Und daß 
den Füchsen der Kamm nicht schwillt, dafür sorgen die Menschen mit 
Fallen und Kugeln. 
Am schönsten ist der Wald am Morgen in aller Frühe, wenn aus 
den Kronen der Eichen und Buchen, auf den Wipfeln der Lärchen und 
Tannen und in den Hecken das hundertfältige Konzert der Vogelwelt 
anhebt. Dann ist ein Tirilieren und Flöten, ein Seufzen und Meckern, 
ein Krächzen und Jauchzen allüberall, als würden von fröhlichen Mu- 
fikern die Instrumente zu einer schallenden Ouvertüre gestimmt. 
Füchse und Ratten entsagen der nächtlichen Mordlust und schlafen 
mit vollen Bäuchen in ihren Löchern. Die Kaninchen vergessen den 
grausamen Tod ihrer Verwandten und Geschwister und trösten sich 
durch ein possierliches Hupfspiel auf den Lichtungen. Die Rehe wandern 
zierlich durch lange Gräser. Alles besinnt sich auf seine natürlichen 
Pflichten, zu deren Ausübung der verliebte Lockruf der Waldtaube und 
das Verlobungsgeschrei des Hähers unaufhörlich herausfordern. Der 
ganze Wald macht Hochzeit von einem Ende zum andern, und unter dem 
Jubelkonzert der Vogelarmee wird der Grundstein zu soviel neuem 
Leben gelegt, daß Füchse und Ratten beruhigt in ihren Löchern den 
Fleischrausch ausschnarchen können . . . 
So war der Houthulster Wald einmal. 
*
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.