Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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ihnen. Bald sind ihrer eine ganze frierende Herde, die eng beiein- 
anderrückt. 
Sie stehen, als fragten sie, oder als führten sie ein geheimnisvolles 
Zwiegespräch mit dem Mond. Sie stehen, als seien es die Geister der 
Erschlagenen, deren Leiber vom Grunde der Graacht an die Oberfläche 
kommen in jeder solchen Mondnacht, um zu fragen, wie lange sie noch 
dort unten aushalten müssen . . . 
Dort jene Brücke trägt die Straße, die durch das Rysseler Tor 
südwärts die Stadt verläßt. Ein stummer Heerzug schwarzer Schatten 
ist auf ihr, der Stadt entströmend. Es scheint, als kämen sie aus den 
unterirdischen Kammern der Basteien, wo man ihre Leichname ein- 
gemauert, und als drängten sie hinaus auf das freie Feld, um sich den 
weißen Nebeln beizugesellen. Unten im Spiegelbild der Graacht wölbt 
sich eine zweite Brücke, über die abermals ein Heerzug von Schatten 
geht. Sie tragen die Köpfe nach unten und die Beine nach oben, und 
es ist schwer zu sagen, welche von ihnen die Lebendigen sind, die oberen 
oder die unteren . . . 
Lange dauert dieser Zug über die Brücke. Schließlich lockert er sich. 
Es sind die Bauern, die vom grooten Platz todmüde heimkehren auf ihre 
Dörfer. Sie sprechen nicht miteinander, und der Lärm ist von ihnen 
gewichen wie die Franken aus der Tasche. Sie denken, ach, wären wir 
schon daheim am warmen Feuer, denn es ist kalt hier draußen und das 
Mondscheinland ist voll unheimlicher Dinge. Es spukt noch bisweilen. 
Kein Wunder, wo noch aus jedem Acker bei jedem Pflügen ganze Körbe 
mit Knochen gesammelt werden. Wie sollten die Ruhe geben, die nun 
in zehn Jahren kein Grab noch gefunden? 
Und dann hört der Zug ganz auf. 
Es wird totenstill auf der Graacht, über der Mauer, auf dem Felde, 
an dem hellen Kreuz oben und auf der Brücke. 
* 
Nacht mit unruhigem Schlaf. 
Ob es am Mond liegt, der nun über Wijtfchate hinweg mählich 
zum Kemme! gewandert ist? Bald wird er über Poperinghe sich senken 
und in den Niederungen untertauchen. Dann wird über Roeselare der 
Himmel sich rötlich zu färben beginnen, bis die vierzehntaufend weißen 
Kreuze auf dem Friedhof bei Pasfchendale im ersten Sonnenstrahl 
glänzen werden. 
Aber bis dahin ist noch lange Zeit.
	        
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