Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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ein übermütiges Boot auf stürmischer See, man könnte fast seekrank 
dabei werden. 
Musketier Müllerin, der das Gefühl hat, als habe er mindestens 
vierundzwanzig Stunden geschlafen, spürt einen bitteren Geschmack im 
Halse. Nur langsam setzten sich seine Gedanken in Bewegung. Es könnte 
sein, denkt er, daß wir eine ganz gewaltige Kirchweih hinter uns haben, 
und daß wir des Guten dabei zuviel getan. Vielleicht bin ich neben dem 
Saal in einer Ecke eingenickt. Aber das ist doch sonst nicht mein Fall. 
Übrigens kann ich so lange doch nicht geschlafen haben, denn man hört 
nebenan aus dem Saale noch deutlich den Spektakel der Tanzbeine, der 
umfallenden Tische, der rollenden Fässer und das Gekreisch der Mädchen. 
Sakrament, das muß ein sauberes Fest sein. 
Er hält an dieser Vorstellung mit einer gewissen Zärtlichkeit fest, 
obwohl ihm seine Beobachtungen längst gesagt haben, daß es mit der 
Kirchweih und dem Gejuchz der Mädchen nichts ist. 
Er braucht nur in das ernste und bleiche Gesicht des Hauptmanns 
zu sehen, der gerade damit beschäftigt ist, eine Meldung zu schreiben. Er 
braucht sich nur aus der stockenden Unterhaltung der Gefechtsordon- 
nanzen und Unteroffiziere ein Bild zu machen, um sich davon zu ver- 
gewisser», daß man in jeder Minute auf das Eintreffen der Tommies 
vor dem K.T.K. rechnet. 
Dieses Bewußtsein, oft schon erlebt und durchgemacht, erscheint ihm 
heute geradezu peinlich. Warum nur? Was ist denn dabei? Wird es 
nicht eine Erlösung sein, wenn sie endlich ankommen, wenn man auf- 
springt und die Trichter besetzt, um ihnen die Kugeln um die Ohren zu 
jagen und die Handgranaten vor die Füße zu werfen? 
Müller iii fühlt kalten Schweiß auf seiner Stirn. 
Hoho, denkt er, das wäre mir neu. Mit solchen Sachen habe ich 
mich doch noch nie befaßt. 
Er hebt den Arm, um sich den Schweiß abzuwischen. 
Ein stechender Schmerz. Er schließt einen Augenblick die Augen. 
Dann öffnet er sie wieder und sieht an sich hinab. 
Ein Infanterist stürzt herein, atemlos. Vor Dreck und Schlamm ist 
kaum noch etwas von ihm zu sehen. Der Hauptmann nimmt seine 
Meldung entgegen und nickt. Dann befiehlt er, die Sandsäcke mit 
Handgranaten umzuhängen. Niemand spricht ein Wort. 
Müller sieht seinen eigenen halb nackten Oberkörper und den dicken 
Verband kreuz und quer über der Brust. 
Mein Lungenschüßchen, mein Heimatschüßchen, denkt er wehmütig.
	        
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