Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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gegangenen auszeichnete. So wurde man auf höchst einfache Weife 
der Notwendigkeit enthoben, festzustellen, in welcher Schlacht das 
Schlamassel eigentlich am schlimmsten war, denn es blieb einem über 
die Champagne, Verdun und die Svmme die tröstliche Gewißheit, daß 
es immer noch schlimmer kommen konnte, als es bis dahin gewesen. Ein 
Grund mehr, sich über nichts aufzuregen. 
Der Musketier Müller III kramte nach einer trockenen Zigarette 
in seiner Brusttasche. Nicht etwa um sie anzuzünden und gemächtlich zu 
rauchen. Das würde die Tommies in den Trichtern vierzig Meter gegen- 
über in eine nicht geringe Aufregung versetzt haben. Nein, nur um sie 
ein wenig zwischen die Lippen zu nehmen und so zu tun als ob. 
Aber auch die Phantasie hat vorwärts Schreiboom in regnerischer, 
von Feuerüberfällen durchzitterter Nacht ihre Grenzen. Was hätte den 
Musketier Müller III fönst davon abhalten können, sich einzubilden, er 
säße daheim in seinem hessischen Dorf beim famstäglichen Kegelabend 
und jenes Gepolter rühre vom Rollen der Kugeln und vom Durchein- 
anderpurzeln der Hölzer her? 
Sie sagten daheim einmal, als er auf Urlaub gewesen, die Jugend 
lerne durch den Krieg wenigstens auf billige Weife ein gut Stück Welt 
kennen. Der Musketier Müller III denkt, es ist eigentlich wenig Unter- 
schied zwischen den Trichtern vor dem Douaumont, denen bei Peronne 
und denen vor Schreiboom. Höchstens daß die letzteren mehr Wasser 
enthalten. Und was das billige Reisen betrifft, so ist es allerdings nicht 
zu bezweifeln, daß die Fahrkarte ins Jenseits niemals unter so ge- 
ringen Umständen zu beziehen war wie heute. 
Die kalte Zigarette schmeckt nicht. Am besten, man packt sie wieder 
ein, ehe sie naß wird. 
Wenn es nicht so elend kalt wäre in dieser Augustnacht, so möchte 
man wohl jetzt ein wenig dusseln. Denn es steht schon in der Bibel, daß 
ein jeglicher Tag seine eigene Sorge habe — warum soll man also schon 
zwei Stunden vor der Dämmerung damit anfangen? 
Er hockt sich zurecht, zieht die Knie dicht an den Leib und tastet der 
Vorsicht halber im Dunkeln nach den Stiefeln. Der Schlamm steht 
immerhin noch unterhalb des oberen Stiefelrandes. Wenn das Wasser 
oben hineinläuft, werde ich schon wach werden, denkt der Musketier 
Müller III. Dabei gibt er sich Mühe, nicht auf die allmähliche Zunahme 
der Feuchtigkeit auf seinem Gesäß zu achten und auf die kalten Tropfen, 
die langsam vom Rand des Stahlhelms in den Kragenrand ihren Weg 
nehmen.
	        
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