Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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toilette, für die mein reisegewandter Bursche, der das Wundern schon 
lange Zeit verlernt hat, das warme Wasser mit selbstverständlichem 
Griff einem Hahn der Maschine entnimmt. Es geht gemütlich zu auf 
der syrischen Bahn, und der Führer der Maschine läßt mit sich reden. 
Die umgebende Steppe, kahl und verbrannt im Oktober, wacht auf 
unter dem belebenden Kuß der Morgensonne. Unendliche Schwärme 
heimischer Zugvögel auf dem Flug zum Süden überholen den Zug. Wie 
Tintenspritzer auf fahlem Papier heben sich ringsum die schwarzen 
Flachzelte nomadisierender Beduinen ab vom hellgrauen Boden der 
Steppe, durch die der Orontes, von der Bahn immer wieder von neuem 
überbrückt, wie ein grünes Band sich hinschlängelt. Kleine schmutzige 
Dörfer mit ihren bienenkorbartigen, aus Lehm gefertigten Hütten tauchen 
auf und verschwinden. Spitzkegeln vergleichbare Schutthaufen, Tells, 
die Reste zerstörter und zerfallener menschlicher Wohnstätten, zeigen, wie 
bevölkert seit Urzeiten das Land war. Wer kennt und zählt die 
Kämpfe, die hier zwischen Völkern ausgetragen wurden vor und nach 
jenem Tage, als Parmenio, Alexanders Generalstabschef, nach 
der Schlacht bei Jffus das Tal des Orontes hinauf mit seinen thessalischen 
Reitern der Hofhaltung des geschlagenen Perserkönigs nachjagte, die in 
wilder Flucht Damaskus zustrebte. 
Roch am Vormittag erreichte ich Homs, eine aufstrebende industrie- 
reiche Stadt, die mit ihren 50000 Einwohnern anfängt, Aleppo den 
Rang streitig zu machen. An der Einmündungsstelle der uralten Kara¬ 
wanenstraße gelegen, die von der Wüstenstadt Palmyra kam, in den 
nörd-südlichen Verkehrsweg Babylons zum Becken des Mittelmeeres, 
ein Beweis, wie die Gunst der örtlichen Lage, alle Stürme der Zeiten 
und Völker überdauernd, unüberwindlich und unabweisbar ihren Ein- 
fluß auf Siedelung und Verkehr ausübt. 
Heute sollte Homs für uns mit seinen reichen Hilfsmitteln als Stütz- 
punkt des Sanitätsdienstes an der Etappenlinie nutzbar gemacht werden. 
Der Kaimakam der Stadt, dessen Bewohner, in diesem Fall zu Unrecht, 
als die „türkischen Schildbürger" einen zweifelhaften Ruf genießen, zeigte 
tatkräftiges Verständnis für die Anordnungen eines deutschen Armee- 
arztes, so daß ich bald die Weiterfahrt antreten konnte. 
Langsamer kriecht der Zug dahin, nicht leicht wird es ihm. die tausend 
Meter hohe Beka, das ehemals so fruchtbare Hochtal Eoelefyriens zu er- 
klimmen. Immer massiger rücken die Gebirgsmassive des Libanon und 
Antilibanon heran; und als die scheidende Sonne über den starren Fels- 
graben im Westen versinkt, gilt ihr letzter Gruß mit vergoldendem
	        
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