Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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in Urfa nahezu alle armenischen Männer, viele Hundert, zum Opfer 
fielen. Sie wurden in Herden zusammengetrieben und vor der Stadt 
abgeschlachtet. Die Frauen und Kinder verschwanden in den Harems 
oder wurden abgeschoben, wobei die meisten verhungerten. — Die Frau 
eines Deutschen, des einzigen Europäers in der Stadt, berichtet, noch 
heute bis in das tiefste Innere erschüttert, als Augenzeugin von diesen 
Vorgängen. 
Urfa ist eine uralte rein orientalische Stadt, das Edessa der Kreuz¬ 
fahrer, aber schon Abraham weidete hier seine Herden und freite hier auf 
seine alten Tage Sara. Der „Abrahamteich" und „das Auge der Sara" 
erinnern mit ihren stillen Wasserspiegeln noch heute an den alten Pa- 
triarchen. Man sieht nomadisierende Beduinen, die wie in grauer Vor- 
zeit hier ihre Herden weiden. Die Zeiten der Bibel leben in ihnen 
vor unserem Geiste auf. 
Die Prüfung der örtlichen und klimatischen Verhältnisse ergibt leider, 
daß die Stadt für ein Genesungsheim ungeeignet. Urfa ist auch jetzt im 
Oktober noch fast tropisch heiß; die Luftwärme geht tagsüber selbst im 
Schatten nicht unter dreißig Grad herunter. Dabei ist Urfa zu offen den 
kalten Gebirgswinden ausgesetzt, kein schützender Wald weit und breit. 
Die wirtschaftlichen Verhältnisse aber sind mit der Ausrottung der 
fleißigen Armenier, deren Verkaufsstände im Bazar öde und leer stehen, 
gänzlich unzulänglich geworden. 
So bleibt mir noch Muße, einige Stunden der Stadt und dem Besuch 
des „Abrahamteiches" zu widmen. Durch mehrere tiefe Schluchten geht es 
vorbei an dem heute in Schutt liegenden Armenier-Viertel. Eine grausige 
Geschichte erzählt noch heute dicht am Wege eine Felshöhle mit Haufen 
menschlicher Gebeine. „Les Massacres armeniens!" 
In steilem Abstieg zu einem Talkessel, den rings kahle, von 
Ruinen einer Kreuzritterburg gekrönte Felsen umschließen, erreiche ich 
dann den „Abrahamteich". Eine Perle geheimnisvoller heiliger No- 
mantik des Orients liegt vor mir. Hier war es, wo Abraham seine 
Herden tränkte, dort aber durch immergrünes Gebüsch schimmert der 
zweite heilige Weiher, „das Auge der Sara". Uralte rauschende Pla- 
tanen umschatten die heilige Stätte, und die untergehende Sonne läßt 
grün-goldene Lichter durch das schirmende Blätterdach auf dem wie ein 
dunkler Opal flimmernden Wasserspiegel zittern. Drüben aber am jen- 
seitigen User, umrahmt von Zypressen und immergrüner Tuja, die edlen 
Formen einer in weißem Marmor gemeißelten Moschee, von der eben 
der klagende Ruf des Muezzin*) ertönt. Der feuchte Windhauch der in 
*) Der Gebetausrufer
	        
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