Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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durch deutsche Ausgrabungen zum Teil freigelegten Reste der alten 
Hetiterstadt; Mauerblöcke und kunstvoll gemeißelte Säulenkapitäle liegen 
in Massen umher. Das Euphrattal ist fruchtbar: wie ein grünes Band 
zieht es sich hin, inmitten der Strom, dessen lehmige Muten sich träge 
dahinwälzen durch die kahle Wüstenlandschaft. Wenige Meilen ström- 
aufwärts liegt das Schlachtfeld von Nisib. Der Name erinnert an eine 
Niederlage der Türken, die dort den Truppen Mehemed Alis, des 
Statthalters von Ägypten, am 24. Juni 1839 erlagen. Der Name Nisib 
aber ist für mich bedeutsam durch seine Beziehung zur Gegenwart. Der 
türkische Führer, Hafiz Pascha, verlor damals die Schlacht, obwohl 
kein geringerer als der nachmalige Feldmarschall v. M o! t f e*) ihn 
beriet. Freilich sein Rat wurde überhört, seine Warnungen blieben un- 
beachtet, seine Borstellungen waren umsonst. Die gleichen Widerstände 
orientalischer Gelassenheit wie heute! Und wie wird diesmal der Aus- 
gang sein? 
Ostwärts weiter läuft das Geleise durch hügeliges, leicht ansteigendes 
Kalkschwemmgelände, vorbei an bienenkorbartigen, aus Lehm und 
Rindermist aufgeführten, kuppelförmigen Hütten, wie sie schon vor 
Tausenden von Jahren im Gebrauch waren. Beduinen hocken auf den 
Dächern und folgen mit gleichmütigem Blick dem Eisenbahnzug, dessen 
Maschine, für Holzfeuerung eingerichtet und mit dem Stempel „Borsig, 
Berlin", eine langauswehende Rauchfahne in der von der Hitze zitternden 
Luft nach sich zieht. 
Die Ankunft in Tell Abjad erfolgt erst nach Einbruch der Dunkelheit. 
Der türkische Bahnhofskommandant warnt mich, ohne Bedeckung die 
vierzig Kilometer weite Strecke durch die Wüste bis Urfa nachts zurück- 
zulegen und gibt deshalb, da ich auf die Fortsetzung der Fahrt bestehe, 
mir noch einen kurdischen bewaffneten Begleiter mit. Aber die Fahrt 
im hellen Mondenschein durch die schweigende Wüste geschieht ohne 
Zwischenfall, auch von den umherstreifenden Beduinen werde ich nicht 
belästigt. Tief in der Nacht erreiche ich meinen Bestimmungsort Urfa. 
Im Jahre 1913 begannen hier die armenischen Greuel, nachdem 
die Armenier sich, wahrscheinlich nicht ohne Grund, der geheimen Ber- 
bindung mit Rußland verdächtig gemacht hatten. Es kam zu einzelnen 
Gewalttaten; dann aber griff die türkische Regierung die Gelegenheit 
auf, ihrem angestammten Haß gegen die artfremden Armenier nachzu¬ 
geben, sie schickte Truppen. Nun setzte eine allgemeine Metzelei ein, der 
*)Moltke war von 1835 bis 1839 als Hauptmann Instruttor der türki¬ 
schen Armee.
	        
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