Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

57 
Mißgeschick frei zu machen und ihn für die unerschöpflichen Reize des un- 
oerfälschten Orients mit all' dem Neuen, das auf Überlegung und 
Phantasie einwirkte, aufnahmefähig zu erhalten. 
Leider fehlte es in Aleppo an der Möglichkeit, dem Körper die 
gerade im heißen Klima so notwendige sportliche Durcharbeitung zu ver- 
schaffen. Die Hitze, der häßliche Staub, Mangel grüner Anlagen machten 
Spaziergänge oder Ritte in die weitere Umgebung unmöglich, denn schon 
unmittelbar vor den Toren der Stadt beginnt die Wüste mit ihrer er- 
tötenden Öde. Man wandert früh am Morgen oder abends, wenn der 
Vollmond scheint und „die weißliche Stadt" mit einem geheimnisvollen 
silbernen Zauber übergießt, durch die Straßen und das Halbdunkel des 
Vazargewirrs. Das Leben dort ist unverfälscht orientalisch, so fremd 
jeder abendländischen Kultur, alles spielt sich dort in Formen und Farben 
ab, die seit tausend Jahren unverändert scheinen, daß man sich ohne be- 
sondere Phantasie in die Zeit der Märchen von 1001 Nacht versetzt 
glaubt. 1001 NachtI Ich sehe Harun al Raschid, der mit seinem 
Großvezier verkleidet durch die Menge geht, Aladin mit der Wunder- 
lampe streift meinen Arm, wie ich dahinfchlendere, Sindbad der See- 
fahrer tritt eben aus dem Hochtorigen Chan (Karawanserei) mit den 
Reihen der in behaglicher Ruhe wiederkäuenden, hingelagerten Kamele, 
wo er die Schätze, die gestern die Karawane aus Basra und Damaskus 
brachte, in Augenschein nahm. — Um in solche Stimmung zu kommen, 
bedarf es wirklich keiner großen Phantasie, und zu bedauern sind jene 
armen Menschen, die in enger steriler Nüchternheit unfähig find, sich 
auch nur auf Augenblicke loszulösen aus der grauen Alltäglichkeit. Die 
gottgeschaffene Natur und die Gabe, sich auf den Flügeln der Phantasie 
und innerlicher Vorstellung emporzuschwingen über das graue Einerlei 
des Tages, bilden einen kostbaren Quell, aus dem neue Frische, Spann- 
kraft des Geistes und Empfänglichkeit der Seele für das Schöne immer 
wieder geschöpft werden kann. — 
Ende September häuften sich die Erkrankungen, und mit ihnen 
nahm die Zahl der Anträge auf Heimsendung wegen Dienstunfähigkeit 
eine bedenkliche Höhe an. Zu dem körperlichen Niederbruch gesellte sich 
bei vielen die Sehnsucht nach der Heimat und der daraus sich ergebende 
Wunsch, nur weg von hier aus dieser „Bratpfanne desTeufels"! Die kurze 
Erfahrung der letzten Wochen hatte schon gezeigt, daß, wer einmal den 
Amanus und Taurus hinter sich gelassen hatte, für die Heeresgruppe 
für immer verlorenging. Die Kriegsmüdigkeit hatte Herbst 1917 bei 
vielen doch schon einen erheblichen Grad erreicht. Zudem lag an der
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.