Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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Unbilden des Regens und der Sonne. — „Hier saßen die faulen römischen 
Soldaten," — so berichtet er weiter — „wenn sie auf Wache waren und 
nichts zu tun hatten. Da vertrieben sich die Kerls die Zeit mit Mühle- 
spielen. Sie sehen hier im Fußboden des Wachturms noch die Linien 
und Löcher, in die sie die Steine setzten." 
Eine geraume Zeit saß ich zusammen mit dem alten geschichts- 
kundigen Franziskaner zwischen den Trümmern; eine ganze Zeitepoche 
wurde vor meinem Auge lebendig: ich sah I e s u s hier wandeln mit sei- 
nen Jüngern und hörte im Geist seine Stimme, die hier in der Halle der 
jüdischen Schule zur Schar der Fischer, Zöllner und Kaufleute der Stadt 
redete. 
Ruhig und behaglich fließt die Erzählung Bruder W e n d e l i n s 
dahin. Nun kommt er auf die kriegerischen Ereignisse der Gegenwart zu 
sprechen: seine Erinnerung schweift auch zurück zu jenen großen Zeiten 
von 1870, als er, ein flotter preußischer Husar, den Gaul zwischen den 
Schenkeln, nach Frankreich ritt. Eigenartig hören sich in dem Munde des 
weißhaarigen, alten Franziskaners kavalleristische Ausdrück; an, und 
plötzlich klingt gar in meine neutestamentliche Stimmung ein altes preußi- 
sches Soldatenlied hinein, das gar nicht in diese Umgebung paßt; aber es 
verrät mir doch, welch treues, gutdeutsches Soldatenherz unter der 
braunen Kutte da neben mir schlägt. Mit herzlichem Händedruck scheide 
ich von dem alten Herrn. Gott sei Dank, noch sind trotz des Weltkrieges 
nicht alle Originale unter den Menschen ausgestorben. 
Dann noch eine kurze Stunde der Sammlung und Erholung auf der 
Gartenterrasse bei den gastlichen Franziskanern in Tapcha. Leise wie ein 
bläulicher Schleier sinkt die Abenddämmerung herab und deckt mit tiefem 
Gottesfrieden die Landschaft. Leise atmet der See. hier und da noch 
der Laut eines schlummernden Sängers in den mit goldenen Früchten be- 
ladenen Zitronenbüschen. — Nun wird es ganz still. Mit lautlosein 
Flügelschlag streicht ein großer Nachtvogel über die dunkle Fläche des 
Wassers, die Natur schläft. Übermächtig und unbeschreiblich ist der Zauber 
dieser weichen Frühlingsnacht am Galiläischen Meer. — 
Oft haben wir uns in Palästina gefragt-, wie mag auf unseren ein- 
fachen deutschen Soldaten der Boden des Heiligen Landes, die Erinnerung 
an jenes große Geschehen vor 2000 Jahren einwirken? Welchen Einfluß 
mögen die heiligen Stätten auf sein Denken und Vorstellungsvermögen 
ausüben? Ist er überhaupt empfänglich für den Zauber der Örtlichkeit, 
wird er ein dankbares und fruchtbringendes Erinnern mit nach Haus 
nehmen, oder hat der lange Feldzug, der Schrecken so vieler Kriegs¬
	        
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