141
Platz, während von der Empore die leisen Akkorde unserer alten Weih-
nachtsweisen herunterklingen. Bor mir, erhöht, der dem heiligen Gabriel
geweihte Altar, zu dem rechts und links Marmorstufen emporführen.
Darunter die dunkle Öffnung der Krypta, der Grotte der Verkündigung,
in deren magischem Lichte ich die Steininschrift „liic verbum caro
factum est", „hier ist das Wort Fleisch geworden", erkenne, und daneben
die heiligen Säulenstumpfe, der Standort Gabriels und Marias. In
dieser Stunde sehnsuchtsvollen, weihnachtlichen Empfindens macht sich die
Stimmung der legendären Örtlichkeit doch mit Macht geltend und zieht
uns alle, deren Gedanken heute mehr denn je der Heimat zufliegen, in
ihren Bann. Die vierte Kriegsweihnacht im Felde! 1914 St. Leger in
Nordfrankreich, 1915 Jagodina auf dem Balkan an den rauschenden
Fluten der Morava, 1916 Gent in den reichen Gefilden Flanderns und
nun — Nazarethl Eine tiefe Erschütterung ist es, die in solchem Augen-
blick Herz und Sinn erleben.
Mächtig durchbrausen die alten Lieder die Halle der Kirche, gesungen
von der feldgrauen deutschen Gemeinde. Dann aber ist es schroff zu
Ende mit der innerlichen weihnachtlichen Stimmung: denn was jetzt
folgt, ist echt orientalisch, hat mit jener nichts mehr gemein. Die dies-
jährige Christfeier in Nazareth sollte nämlich eine besondere äußere Weihe
erhalten durch die Anwesenheit des lateinischen Patriarchen von Jeru-
falem Monfignore Philipps Camaffei, der, als Italiener von den
Türken aus Jerusalem ausgewiesen, bei uns in Nazareth eine Stätte der
Zuflucht gefunden hatte. Unter Vortritt eines türkischen Kawaß,*) strotzend
von Gold, das Krummfchwert gezogen, naht der feierliche Zug, an der
Spitze der Patriarch im Ornat, ein siebzigjähriger Greis und eine Gestalt
mie die eines Großinquisitors des sechzehnten Jahrhunderts, hoch, hager,
kaum gebückt, mit einem römischen Rassekopf und scharfgeschnittenem
Profil. Nach tiefer Reverenz vor dem Oberbefehlshaber, die dieser mit
einer Verbeugung erwidert, geht der Zug mit der Schar der Chorknaben,
Priestern und Ministranten die Treppe hinauf. Und nun beginnt eine
theatralische Musikmesse, die, verbrämt mit halborientalischer Ornamentik,
fast eine Stunde währt. Dicke Weihrauchwolken durchziehen den Raum
und legen sich wie ein dichter Nebel über die ganze Szene. Verschwom-
men sieht man die thronende Gestalt des Patriarchen, die in weißer Kutte
arbeitenden Priester und Mönche und vernimmt den eintönigen Gesang
der Priester, nur unterbrochen von den gellenden Stimmen des Knaben¬
*) inohamedanischer Ehrenwächter.