Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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Wüste Juda, das grüne Band des Jordantales und das Tote Meer, 
-das als ein 1200 m unter der Spitze des Ölberges sich ausbreitender, 
dunkelblauer Spiegel im violetten Dunst liegt, der auch die jenseitigen 
Randgebirge von Moab mit einem diesigen Schleier umwebt. Die 
Kiefern, Zypressen und Lavendelgruppen strömen nach der Sonnenglut 
des Tages jetzt einen balsamischen Atem von harzigem herbem Wohl¬ 
geruch aus. Die Natur ist tot und still, sie rüstet sich zum nur 
kurz währenden Winterschlaf. 
Vor mir, jenseits des Kidrontales, erhebt sich, eingerahmt von der 
hohen Mauer, Jerusalem, die ewige Stadt, angeschmiegt an eine steile 
Bergkuppe und halbverschüttete Talschluchten, während drüben von 
den Ausläufern des Gebirges Bethlehem und Bethfchala herüberwinken. 
Eine kurze Viertelstunde der Ruhe und Selbstbesinnung, der Sehnsucht 
nach Frieden und Heimkehr. Als Unterton aber immer das nagende, 
bittere Gefühl, diese Stätte deutscher Arbeit demnächst, vielleicht schon in 
den allernächsten Tagen, den Engländern überlassen zu müssen, hilflos 
und machtlos; denn die türkische Armee war so gut wie zertrümmert 
und unfähig, Jerusalem noch länger zu schützen. 
Der 11. November war ein Sonntag. Von der heiligen Stadt her 
über den Kidronbach und den Garten Gethsemane rufen die Glocken 
der Erlöserkirche zum Gottesdienst, den Probst Jeremias wohl zum 
letzten Male heute feierlich zu begehen sich rüstet. Der Horizont ist 
überall mit dicken blauschwarzen Wolken umzogen, aus denen, wie 
kommendes Unheil verkündend, Blitze auf das Tote Meer hinabzüngeln. 
Die Panik in der Stadt hatte gestern auch die deutschen Sanitäts¬ 
formationen ergriffen: unter Zurücklassung großer Materialbeständs 
war das Personal auf der Straße nach Nablus in das Gebirge von 
Judäa abgerückt. Nur mit Mühe gelang es mir, wenigstens den wert- 
vollsten Teil des Gerätes zu bergen und in Sicherheit zu bringen. Was 
nicht abtransportiert werden konnte, wurde dem deutschen Krankenhaus 
in Jerusalem übergeben, das gleichzeitig die Pflege unserer schwerkranke»? 
deutschen Heeresangehörigen übernommen hatte. 
In Jerusalem herrscht nun so etwas wie die Ruhe des Kirchhofes, 
nachdem die türkische Etappeninspektion abgerückt ist. Die eingeborene 
türkische Bevölkerung verhält sich ruhig und gleichgültig: sie kennt nicht 
unseren Begriff „Vaterland" und sieht mit stumpfem Gleichmut dem 
Wechsel entgegen. In langen Zügen aber, tränen- und klagelos, ver- 
lassen die Juden die Stadt Davids, der Jammer und das Elend der 
Heimatlosigkeit des Volkes Israel erneuert sich heute wiederum an
	        
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