Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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rung rücksichtslos durchzuführen. Mit grausamer Härte schwang der 
Krieg seine Hungerpeitsche über dem unglücklichen Lande, und es war 
ein jammervoller Anblick, neben den längs der Bahn aufgestapelten 
Getreidehaufen, die ausschließlich für die türkischen Truppen bestimmt 
waren, Weiber und Kinder vor Hunger sterben zu sehen. Bei einem 
Gang durch die Straßen von Damaskus in früher Morgenstunde aber 
stieß man nicht selten auf die zu Skeletten abgemagerten kleinen 
Menschenkinder, die in der Nacht der Tod von ihrem Elend befreit hatte. 
Immer wieder bäumte sich das Innere des Kulturmenschen auf gegen 
solchen namenlosen Jammer, dem man doch ganz machtlos gegen- 
überstand. 
Djemal hatte, wie bereits erwähnt, auch die Sicherung des 
Sanitätsdienstes in den Bereich seiner organisatorischen Tätigkeit ge- 
zogen. Bei seinen wiederholten Besuchen der türkischen Lazarette 
wußte er dahin zu wirken, daß der sonst so häufig beobachtete Schlen¬ 
drian hier nicht zur vollen Blüte gelangen konnte. Auch das deutsche 
Lazarett konnte sich öfters seines Interesses erfreuen und war jedes- 
mal seiner besonderen Anerkennung sicher. 
In dankenswerter Weise hatte Djemal die eigene Herstellung 
von Verbandmitteln in die Hand genommen. Die Ebene von Adana 
erzeugte Baumwolle in reichlichen Mengen, die nun in Damaskus im 
großen zu einer sehr brauchbaren Verbandwatte umgearbeitet wurde. 
Ich stattete dieser Fabrik einen eingehenden Besuch ab und konnte mich 
überzeugen, wie die rohe Baumwolle fast ausschließlich durch Handarbeit 
eingeborener, besonders geschulter Frauen und Mädchen den Werdegang 
bis zur feinfaserigen Verbandwatte durchmachte. Interessant war es für 
mich, festzustellen, mit welch einfachen, geradezu urwüchsigen Werkzeugen 
diese Arbeit geleistet wurde. In einem der vielen Räume saßen etwa 
fünfzig, vom Kopf bis zu den Füßen in Weiß gehüllte Mädchen, deren 
dunkle, scharfgeschnittene, zum Teil klassisch regelmäßige semitische Ge- 
-sichtszüge sich wirkungsvoll gegen das Weiß abhoben. Im gleichmäßigen 
Takt wurde die Baumwolle hier mittels großer, elastischer, mit einer 
Sehne bespannter Bogen gelockert; ein eintöniger, melodischer Gesang 
begleitete die Arbeit. Unwillkürlich erinnerte das ganze Bild an alt- 
ägyptische Fresken, auf denen die gefangenen jüdischen Weiber die gleiche 
Arbeit in nahezu gleicher Kleidung mit den gleichen Holzbogen verrich- 
ten. Wieder ein Beispiel, wie im Orient die handwerksmäßige Her- 
stellung mancher lebenswichtiger menschlicher Bedarfsgegenstände seit 
Jahrtausenden nahezu dieselbe geblieben ist und sich heute derselben
	        
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