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verweste Frauenleiche. Beim Passieren eines Hohlweges schlägt ein atem-
beraubender, süßlicher Geruch entgegen. Haufenweise liegen dort zusammen-
getragene tote deutsche und französische Soldaten. An dem Zwitschern der
Jnfanteriegeschosse erkennt man die Nähe der feindlichen Stellung. Nur jetzt
den Führer nicht verlieren, den man wegen der völligen Dunkelheit an der
Hand faßt, um sich so weiter führen zu lassen. Von der vordersten Stellung
ist nicht viel zu sehen. In einzelnen Granattrichtern verteilt sitzen die Leute
des I./J.R. 23, fertig zur heiherfehnten Ablösung, dennoch aber scharf zum
Feinde spähend. Die abgelöste Kompagnie verschwindet. Die Nacht verläuft
ruhig, und es wird fleißig geschanzt. Am Morgen des 6. Juli bietet die
über der Lorettohöhe blutig aufgehende Sonne einen unvergeßlichen Anblick.
Totenstille überall, mit Ausnahme der Posten schläft alles völlig erschöpft. Als
Kopfkissen dient die Feldflasche, zum Zudecken der Brotbeutel. Bald erwacht
das Leben, mit leichten Granaten wird der Bataillonsabschnitt vom Gegner
abgestreut. Nach rechts hat das Bataillon Anschluß an J.R. 63. Die Mann-
schaften sitzen jetzt meist zu zweit unter einer Zeltbahn, wie die Kaninchen in die
zerwühlte Erde eingegraben. Vom feindlichen Graben sieht man in Wurfweite
hochaufgetürmte Sandsackbrustwehren. Es macht den Posten Spaß, in die un-
tersten Säcke hineinzuschießen und dann zu beobachten, wie aus dem zerschossenen
Sack der Sand herausrieselt und allmählich die Brustwehr an dieser Stelle ein-
stürzt. Das Artilleriefeuer nimmt an Stärke zu, die Verwundungen und Ver-
schüttungen häufen sich, die nach Souchez gesandten Meldegänger bleiben
im Hohlweg von Souchez vom feindlichen Artilleriegeschoß getroffen liegen.
Man findet sie später dort, die Meldung noch in der Hand. In der Nacht müssen
die Leichtverwundeten die Schwerverwundeten zurücktransportieren, jeder Ge-
sunde wird vorne gebraucht. Dasselbe Spiel wiederholt sich am kommenden
Tage, dem 7. Juli. Bei windigem, klarem Wetter steigert sich die feindliche Ar-
tillerietätigkeit von Stunde zu Stunde. Bei jedem Granateinschlag steigen dichte
Staubwolken auf. Die ganze Schanzarbeit der vergangenen Nacht ist wieder
zunichte gemacht, Verluste über Verluste treten ein. Jammernd kriechen Ver-
wundete mit zerschossenen Gliedmaßen über das Feld in Richtung Souchez zurück,
bis sie von einer zweiten Granate gänzlich zerrissen werden. Die Stimmung in
der vordersten Stellung ist infolge des vernichtenden Artilleriefeuers, dem man
deckungslos preisgegeben ist, gedrückt. Dem Tambour Jenczmionka von der
5./J.R. 23 gefällt das nicht. Er holt feine Mundharmonika heraus und spielt den
Preußenmarsch. Aus dem feindlichen Graben ruft einer: „Breslau kaputt"!
Hohngelächter antwortet ihm. Kommt nur herüber, wir wollen euch schon zeigen,
wie kaputt Breslau ist. Immer stärker wird das Feuer, Granate auf Granate
krepiert mitten in der Stellung, die 23er springen von einem Loch ins andere.
Freudestrahlend kommt ein junger Rekrut herangekrochen und erzählt, daß ein
französischer Artillerist auf ihn gezielt haben müsse, die Granate sei unmittelbar
vor ihm eingeschlagen, ihm sei aber nichts passiert. — Ein Reservist zieht sich sein
Hemd wieder an, das er über Nacht wegen des Ungeziefers vergraben hatte. Er
wollte nicht, wenn er heute fiele, ohne Hemd als „Ehrloser" begraben werden.
Noch während des Anziehens wird er von einer Gewehrkugel hingerafft.
Flehentlich bittet ein junger Gefreiter mit zerschmettertem Bein, man möchte ihn
doch bald zurückschaffen, er würde sonst vor Schmerzen wahnsinnig. Seine Bitte