Volltext: Loretto [17] (Band 17/1927)

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Der zwölfte März ertrank in einem unendlichen Regen, der bis in 
die Nacht zum dreizehnten sich fortsetzte. Schmutzige Bäche rannen von 
der Höhe herab und ergossen sich durch die Straßen von Ablain. Wen 
ein Befehl nicht zwang, der blieb fein geborgen im Unterstand. Freilich 
oben im Vorfeld der Kanzelstellung gab es so etwas nicht. Bis aus die 
Haut durchnäßt kauerten die Posten in ihren Trichtern und betrachteten 
stumpfsinnig das millionenfache, märchenhafte Elitzern, das jeder Ein- 
schlag einer Granate und jedes Aufflammen eines zerplatzenden 
Schrapnells in Dunkelheit und Regen zauberisch hervorriefen. 
Hinter den Vorposten im Trichterfeld war die Besatzung der 
Kanzelstellung, das I. Bataillon Gren-Regts. 110, damit beschäftigt, den 
Graben zu vertiefen und die Schäden der Tagesbeschießung auszu- 
bessern. Bei Gott, weder eine angenehme noch eine leichte Beschäftigung! 
Die zähe Lette des Bodens klebte an den Spaten fest, und die Stiefel 
versanken im Schlamm. Der Geruch der zahlreich umherliegenden 
Leichen zog süßlich und Übelkeit erregend über das Trichterfeld. Oft 
stießen die Spaten auf Uniformfetzen. Behutsam wurde dann der Boden 
rings um den Ärmsten gelockert, bis man ihn schließlich seitwärts in 
einem Trichterloch notdürftig begrub. Totengräberarbeit auf einem 
stürmischen Kirchhof. Die Toten noch müssen, den Lebenden zum Nutzen, 
ihre Ruhe verlassen und die Gräber wechseln. 
Jedesmal wenn dann eine Leuchtkugel drüben, höchstens hundert 
Meter entfernt, mit leisem Knall emporfuhr, erstarrte jede Bewegung 
der Grabenden, und niemand hätte dann die Lebendigen von den Toten 
unterscheiden können. 
☆ 
Am dreizehnten März war wenigstens das Wetter wieder gut. 
Um die Nachmittagsstunden lag ein schweres französisches Artillerie- 
feuer auf dem Dorf Ablain, von der Höhe herab einen gewaltigen An- 
blick bietend. 
Das rauschte durch die Luft auf unsichtbaren Bögen und senkte sich 
in steiler Abwärtsfahrt auf das ohnmächtige Dörflein herab. Das quoll 
in dichten Staubwolken, untermischt mit dem rötlichen Sand der zer- 
schlagenen Ziegelsteine, aus den Häufertrümmern hervor und verwob 
sich zu einem mißfarbenen Schleier. Das knirschte und barst dort unten 
wie in einem schwärenden Riesenkessel voll giftiger Stoffe. Das er- 
schüttelte jedesmal die ganze Luft bis hier oben hinauf und lief in 
bebenden Wellen durch die Erde.
	        
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