Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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indes der Meister gerade Jesus Christus um sein Zugegensein beim 
Mahle bat, und tupfte ganz leise den jüngsten Lehrbuben auf die Stirn. 
Da half kein Schreien, kein Beten und Wimmern, kein Aderlaß und kein 
geistlicher Zuspruch. Nach zwei Tagen wälzte sich der Junge zum letzten- 
mal unter den brennenden Qualen der Schwären seines armen Leibes. 
Dann trugen sie ihn hinaus, indes der Tod von Apern längst die ganze 
Straße aus seine Tafel geschrieben hatte. 
Da erkannten ihn die von Apern. Und eine wahnsinnige Todes- 
angst durchrüttelte die ganze Stadt. Taujende flohen blindlings davon. 
Ach, längst hatte ihnen der Tod von Hpern auf die Stirn getupft! Sie 
kamen nicht weit, ehe sie niederbrachen. Gesellen trugen den Meister zu 
Grabe und legten sich zum Sterben, als sie zurückkamen. Kinder weinten 
um den Vater, und ehe sie ein einziges Tuch naßgeweint, hörten sie den 
unsichtbaren Tod in ihrem Rücken kichern und fühlten die Spitze seines 
kalten Fingers auf ihrer Stirn. Kirchhöfe und Grüfte waren übervoll, 
die Totengräber sanken neben die Särge, die Toten blieben in den 
Häusern, da niemand sie mehr hinaustrug. Die Sterbeglocken läuteten 
ohne Aufhören von den Türmen der Martinskirche, bis niemand mehr 
war, der den Strang ziehen konnte. Alte Leute schleppten sich mit der 
letzten Kraft auf den Kirchhof, um dort vom Tod sich abholen zu lassen. 
Niemand mehr wehrte sich gegen ihn. denn alle wußten, daß er nicht 
ruhen und rasten würde, bis er seinen Hunger gestillt. 
Und als er endlich über die Straße davonzog, hinterließ er von 
zweimal hunderttausend Menschen nicht mehr zwanzigtausend. Zufrieden, 
nickte er über sein Werk und versprach, daß er nach abermals einem 
halben Jahrtausend wiederkehren werde. . . 
Die Menschen wurden klüger und lernten, sich gegen den Tod ver- 
teidigen. Die alten Leute von 'Zpern erzählten ihren Enkelkindern von 
dem bleichen Besucher, der ihre Urväter heimgesucht, und vergaßen nicht 
hinzuzufügen, daß er nun und nimmer wiederkehren werde, weil er heuer 
sich nicht mehr unsichtbar einschleichen könne und weil man wisse, wie 
man ihn abschrecken müsse. Und wenn ein Bursch zu einer blassen Maid 
sagte: ..Du siehst ja aus wie der Tod von ApernI" dann lachten beide» 
weil der Tod von 'Zpern nun selbst gestorben sei. Niemand wollte sich 
mehr entsinnen, daß er seine Wiederkehr nach einem halben Jahrtausend 
angekündigt. 
Und just als das halbe Jahrtausend um war, da war der Tod von 
Bpern wieder im Land.
	        
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