Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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verächtlich ab und beluden ihre Karren für die Fahrt nach Brügge. Dann 
aber zeigten die in Brügge denen von Upern die neuen Tuche aus 
Courtrai und Menin und bewiesen ihnen, daß sie ebensogut und viel 
billiger feien. Da verschleuderten die von Dpern erst ihrer Hände Arbeit 
um einen Gotteslohn und ballten die Fäuste dann in ohnmächtiger Wut, 
als sie die ausländische Wolle nicht mehr bezahlen konnten. Und dann 
ließen sich viele von der neuen Zeit in Courtrai und Menin in die dunklen 
verschlossenen Häuser sperren, wo sie ihrer Hände Kunstfertigkeit eintausch- 
ten gegen stumpfsinnige Griffe an Hebeln und Hölzern. Da hatte die neue 
Zeit den Sieg davongetragen, und auf der Straße nach Roulers wurde 
es still von den hohen zweirädrigen Karren aus Ipern. Die Stadt begann 
einen langen, langen Schlaf, träumend von dem emsigen Gang der Web- 
schifflein und den herrlichen Ballen wundervollen Tuches, von den blin- 
kenden Dukaten und dem fröhlichen Gesang der Lehrbuben und Gesellen. 
Auch Brügge sank in Schlaf, als Menin und Courtrai ihre Ware füd- 
wärts und ostwärts über Land zu schicken begannen. So ruhten die 
beiden emsigen Schwestern nebeneinander aus von ihrer Arbeit, und die 
Zeit schien an ihnen mit leisen Schritten vorüberzugehen, um ihren 
Dornröschenschlaf nicht zu stören . . . 
Vor mehr als einem halben Jahrtausend barg die sagenreiche Stadt 
einen unheimlichen Gast in ihren Mauern. Das war der Tod von 
Bpern. Aus der Fremde war er gekommen, von niemandem bemerkt, 
in der Brust irgendeines verborgen, der von draußen heimkehrte. Er 
blieb nicht in Genua, nicht in Bordeaux, nicht in Calais und nicht in 
Brügge, sondern machte sich schnurstracks auf den Weg nach Bpern, als 
wisse er, daß dort seine Heimat sei. Und wo ihm unterwegs lachende 
Menschen begegneten, da dachte er: „Wartet nur, bald werdet ihr eure 
Gesichter verzerren!" Und wo er das Korn unter den Sicheln der Mäh- 
leute fallen sah, da flüsterte er: „Warte nur, bald wird niemand mehr 
dich schneiden, da ich die Sichel zu einer anderen Mahd brauche!" Und 
als nach wenigen Tagen die Stadt mit jähem Entsetzen das bleiche Gesicht 
des Fremden erkannte, da war es längst zu spät. 
Der Tod von Vpern begann seine Mahd. Er stieg aus der ver- 
brennenden Brust dessen, der ihn über die Straße und das Meer in diese 
Stadt getragen, und erwürgte ihn mit kaltem Griff. Dann wußte er, 
wie es zu machen war. Er ging in das Nebenhaus, wo der Meister mit 
Weib, Kindern und Lehrbuben beim Vespermahl saß, trat in die Stube,
	        
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