Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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Strom hinabgleiten, unter der Brücke hindurch, von der s ie hinabschaut 
auf den Verehrer, s i e, die gerade ihn sich ausgewählt vor allen andern, 
um mit ihm geheimnisvolle, duftende Brieflein zu tauschen: „Kannst du 
heute Abend um acht Uhr am dritten Baum hinter dem Feuerwehrturm 
auf mich warten? Wenn ich in einer Viertelstunde nicht dort bin, hat 
mich das Fräulein festgehalten oder ich muß Mama aus Damms Klavier- 
schule Fingerübungen vorspielen." Warum nicht dies alles ganz heim- 
lich und verschwiegen unter dem Rauschen der flandrischen Bäume und 
dem stillen Plätschern des Baches, eingemummt von der schützenden 
Oktobernacht, noch einmal kosten — wenn's auch (seltsamerweise!) so 
weh tut? 
Am 16. August 1914, als die deutschen Armeen sich anschickten, den 
gewaltigen Vormarsch durch Belgien zu beginnen, und in den Bogesen 
und in Lothringen die feindlichen Hauptkräfte zum erstenmal aufein- 
anderstießen, ordnete das preußische Kriegsministerium die Bildung von 
fünf neuen Reservekorps an und gab ihnen die Nummern XXII bis 
XXVI. Bayern stellte die 6. bayerische Reservedivision auf. Württemberg 
und Sachsen formierten gemeinsam das XXVII. Reservekorps. Das 
Gerippe dieser Korps bildeten Landwehr- und Landsturmtruppen, zahl- 
reiche bereits inaktive Offiziere, ein geringer Teil abkommandierter 
aktiver Offiziere und Unteroffiziere und einige Tausend Ersatzreservisten. 
Die Hauptmasse der Truppen ergänzte sich aus der Million von Kriegs- 
freiwilligen, die in den ersten Tagen des Krieges in allen Teilen Deutsch- 
lands zusammenströmte, im Alter von 16 bis 50 Jahren. Im allgemeinen 
bestanden die Regimenter zu dreiviertel aus Freiwilligen, deren 
größerer Teil wieder aus Studenten und höheren Schülern sich zu- 
sammensetzte. Der Volksmund gab ihnen darum den Namen „Kinder- 
regimenter". Vor Dixmude, Bixschote, Langemarck und Becelaere mußten 
ihrer die meisten sterben. 
Unsägliche Schwierigkeiten bereitete die Ausbildung in den Garni- 
sonen. Kasernen standen nur zum Teil zur Verfügung. In Schulen, 
Gemeindehäusern und amtlichen Gebäuden schliefen die Freiwilligen auf 
Holzpritschen und Strohlagern. Uniformen waren bis in die letzten Tage 
vor dem Ausrücken nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Vielfach 
wurde Dienst in Zivil getan, mit umgeschnalltem Koppel. Die Gewehre 
gingen reihum, damit jeder einmal ans Schießen kam. Das Ausbildung?- 
personal war mit den neuen Vorschriften nur mäßig vertraut, zudem 
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