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wohl immer dieser dritte sein, weil er mir der mutigste und stärkste unter
den Dreien schien . . .
Im Frieden ging man abends zu Bett und stand morgens wieder
auf. Und wenn man den Heraufzug des Tages einmal erlebte, so war
es ein rauschendes Freudenfest. Vom Dunkel der Nacht bis zum ersten
Strahl der Sonne, der gleich dem Speerwurf eines jungen Kriegers über
den Rand der Berge glitzert, war nur eine Erwartung. Im Kriege, da
war das Morgenrot keine Erwartung, sondern ein Verharren. Kein
Übergang zum Aufbruch der Sonne, sondern ein mahnender Abschluß
der Nacht. Kein Anfang, fondern ein Ende. Keine Hoffnung, fondern
ein Grabmal . . .
Alle Geheimnisse, die zwischen Nacht und Tag verborgen sind, der
erste rötlich verglimmende Lichtstreifen, das kühle Schreiten des heim-
lich der Nacht folgenden Windes, das erste schwermütige Seufzen der
erwachenden Baumkronen, das leise Rauschen der Wellen im Bach, der
erste erschrockene Vogelgruß und der flüchtige Schritt eines Wildes über
die Straße — alle Geheimnisse zwischen Nacht und Tag enthüllen sich
dem, der das Sterben kennt . . .
Dieser Gedanke an das Sterben, den das Morgenrot weckt, ist ein
ganz anderer als der des Tages oder der Nacht. Er ist kein Aufbäumen
und kein Verzweifeln, kein standhaftes Hinnehmen des Unabwendbaren,
kein heroisches Opfern des Lebens und kein verschwenderisches Hinwerfen
des Höchsten. Er ist vielmehr eine Feier . . .
Den, der in das Morgenrot schaut, überkommt die Majestät des
ewig ungelösten Rätsels des Woher und Wohin. Keine Ohnmacht des
Nichterkennen-Könnens, sondern die Stille des Nichtbegreisen-Wollens.
Die Anbetung des Unlösbaren, des Ewigen . . .
Da werden die Lautesten still, die Unruhigsten ruhig, die Ungläubig-
sten gläubig, die Unreinsten rein . . .
Und das alles macht jener bleiche Lichtschimmer, der lautlos von
Osten herauf den Himmel bedeckt, die Sterne zur Ruhe bettet und den
Mond erblassen läßt. Dem Büchlein entrollt er das erste Glitzern, den
Hahn auf dem Kirchturm überzieht er mit herrlichen Farben, den Giebeln
verleiht er ein mattes Blinken, und die mürrischen Bäume heißt er hervor-
treten aus dem Schatten. Selbst die schweigsamen Tannen, die sich mit
ihren Köpfen eng zusammengedrängt, können es nicht verhindern, daß
ihre Stämme sich mit rötlichen Tupfen schmücken, und daß der Teppich zu
ihren Füßen von wunderbaren leuchtenden Streifen überzogen wird.