Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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Kompagnien marschieren immer zu vieren . . . 
Wochen und Monde ziehen vorüber. Und immer wieder marschieren 
die Kompagnien. Es sind schon ganz andere Gestalten wie damals. Keiner 
mehr ist da, der den Anfang erlebt. Immer neue Soldaten schickt die 
Heimat. Die Vorderen fallen, die Neuen schließen in die Lücken auf. 
Wer weiß noch von damals? Aber neben der Kolonne schreitet unsichtbar 
der Geist jener andern. Die Toten und die Lebenden halten Zwiesprache 
miteinander. Jede Marschnacht ist das so, seit dem ersten Tage. Und es 
wird immer so bleiben, solange die Kompagnien zu vieren marschieren 
werden . . . immer, bis eines Tages einer sagen wird: „Stillgestanden. 
Es hat ein Krieg stattgefunden. Der Krieg ist aus. Weggetreten . . ." 
Was, was wird man wohl denken an diesem Tage? Ob man zu- 
sammenbricht wie ein Schlaswandler, den plötzlich eine rauhe Stimme 
geweckt hat? Ob alle die, deren Geister neben der Marschkolonne nacht- 
lich durch die Kronen der Bäume und von Chausseestein zu Chausseestein 
in lautloser Wanderschaft gefchwebt, plötzlich herabspringen und einen 
umringen: „Kamerad, Kamerad, laßt uns nicht, laßt uns nicht, bleibt 
bei uns . . . wir müssen wandern, ja wandern . . 
Wer weiß . . . vielleicht gibt es diesen Tag gar nicht. Vielleicht auch 
ist es gut, daß man gar nicht mehr aufwacht. Wie soll es denn je auf- 
hören, dies Marschieren in der Nacht . . . 
Schritte stampfen im monotonen Gleichtakt. Schanzzeug klappert. 
Fern am Horizont tanzen irre Lichter einen wunderbaren Tanz. Heute, 
morgen und übermorgen . . . 
Kompagnien marschieren immer zu vieren . . . 
Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod . . . 
Hat denn einer jemals im Frieden das Morgenrot richtig erlebt? 
Es gibt da ein Bild, irgendwo in meiner Jugend hat es gehangen. 
Da find drei Reiter im fahlen Lichtschimmer der ersten Strahlen. Einer 
sitzt auf dem Gaul und beugt sich tief vornüber, die Hände gefaltet. Einer 
ist abgesessen, lehnt an der Kruppe des Pferdes, hält die Hand über die 
Stirn und starrt in den Schimmer. Und einer steht weit abseits auf einer 
kleinen Höhe, den Karabiner im Arm, und schaut über das Land. Der 
erste, so dachte ich immer, bereitet sich auf das Sterben vor, der zweite 
denkt an die Tage seiner Jugend, der dritte denkt nicht an gestern und 
morgen, beißt die Zähne aufeinander, daß ihm der bleiche Strahl nichts 
anhaben kann, und schaut voll Trotz nach dem Feind. Und ich wollte
	        
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