Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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die Willensschwäche, die ganze Bataillone ansteckt, sagen noch andere. 
Aber oft wichen Truppenteile, die tags zuvor sich glänzend geschlagen, 
ohne besonderen Grund am nächsten Tage, und ebenso fochten andere 
Formationen mit einer Todesverachtung, die als zu niedergeschlagenen 
Stimmungen neigend bekannt waren. Es ist der Wille des Führers, 
sagen wieder andere, der an einem Tage sich stärker durchsetzt als am 
andern, je nachdem wie er zu wirken vermag. Wenn dem so wäre, dann 
hätten Truppenteile, deren Führer gefallen, sofort in ihrem Verhalten 
eine Änderung zeigen müssen. Sie taten dies, solange die mangelnde 
Kriegserfahrung ihrem spontanen Handeln Grenzen setzte, und sie stritten 
auch ohne Führer und unter neuen Führern, als die ersten Kampftage 
die Mängel der Ausbildung durch blutige Belehrung ersetzt hatten. 
Wie. soll denn alles dies ohne Gesetz sein und nur dem Zufall oder 
dem psychologischen Chaos gehorchen? Es hieße sich am Geiste jener 
Freiwilligen versündigen, wollte man das annehmen. Charakter, jugend- 
liche Stimmungsmomente. Führerenergie und die Wirkung der unmittel- 
baren Gefahr mögen ihren großen Anteil am jeweiligen Verhalten einer 
Truppe haben. Ausschlaggebend sind sie ebensowenig wie sie die einzelnen 
Vorgänge zu erklären vermögen. Das, was über allen diesen Momenten 
steht und erst den Boden für die Auswirkung des einen oder andern 
diefer Begriffe abgibt, ist die Kameradschaft. 
Es wird nötig fein, den Begriff näher zu bestimmen, denn es scheint 
zum Beispiel unangebracht, von Kameradschaft zu sprechen, wenn eine 
Truppe das Schlachtfeld unter Zurücklafsung von Verwundeten und 
Sterbenden geräumt hat, oder wenn eine Handvoll Versprengter weit 
hinten bei den großen Bagagen ausgegriffen wird und mit allen Mitteln 
der Disziplin nach vorn- geführt werden muß. Aber man versetze sich 
einmal einen Augenblick lang in die Seele einer solchen Truppe. In den 
Minuten, in denen sie, nicht achtend des Stöhnens und Bettelns ihrer 
Verwundeten, zurückwich, hatte jene entsetzliche Macht über sie Gewalt, 
die Mut und Feigheit auflöst in jenen Zustand, den wir Panik nennen. 
Über ihn wird später noch zu sprechen sein. Hinter der Front, in den 
schügenden Gräben und Erdlöchern, weicht die Panik, und das dumpfe 
Gefühl des Geschehenen, das Gesicht der Verwundeten, das Bewußtsein 
des Verrats und die entsetzliche Qual des „Zu spät" lassen erst jene 
finstere Verzweiflung aufkommen, die man in Wahrheit als Todesstarre 
bezeichnen könnte. Eine solche Truppe würde, wenn sie das Gefühl der
	        
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