Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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Strahl und huscht über die Monstranz und das Bildwerk in den 
Nijchen . . . 
Plötzlich am Spätnachmittag, als die Sonne sich schon rot färbt, 
erhebt sich ein infernalisches Krachen. Niemand hört es heranheulen. 
Es scheint mit ungeheurer Raserei mitten vom Himmel herabzustürzen 
und auf die Kirche niederzubrechen. Im Bruchteil einer Sekunde ver- 
nimmt man das Ächzen und Splittern der Balken, den Einsturz von 
Wänden. Stinkender Qualm breitet sich überall. Es wird ganz finster. 
Entsetzlich ist das Geschrei und das Durcheinanderwälzen von 
Menschenleibern. Die Strohlager sind mit Steingeröll und Mörtel über- 
gössen. Drei, vier, fünf Verwundete sind von herabstürzenden Balken 
erschlagen worden. Zum zweitenmal Verwundete kriechen auf allen 
Vieren durch den Rauch. Irgendwohin, nur fort von hier. Gleich, gleich 
wird eine zweite Granate das Deckengewölbe zerreißen. Die Sanitäter 
greifen überall zu, schleppen, wen sie gerade greifen, ins Freie hinaus, 
Lebende unter Toten. Die Ärzte legen mit Hand an. Noch ist sie nicht 
da, die nächste Granate . . . aber sie muß in jedem Augenblick . . . 
Gott sei Dank kommen endlich ein paar Wagen. Rasch werden sie 
gefüllt und fahren ab. Aber was nutzt das? Hundert andere bleiben 
zurück. 
Das Geschrei im Innern der Kirche nimmt kein Ende. Allmählich 
verzieht sich der Qualm durch die zersplitterten Fenster. Die Leiber der 
Verwundeten sind von oben bis unten mit Staub und Splittern besät. 
Immer noch fällt von der Decke Mörtel herab. Hilfeflehend verfolgen die 
Augen die Bewegungen der hin- und hereilenden Sanitäter. Die Schmer- 
zen brennen nicht mehr so, stärker ist der Wille zum Leben. Nur hinaus 
hier, denn gleich, gleich muß die nächste . . . 
Jedesmal, wenn ein gedämpftes Zischen hoch durch die Luft rast 
und nach ein paar Sekunden sich irgendwo draußen in einen Pauken- 
schlag auflöst, verstummt jeder Laut. Alles wartet dann geduckt auf den 
Schlag, jeder Nerv spannt sich, und selbst in den Sterbenden bäumt sich 
noch einmal das Bewußtsein der Gefahr. 
Wie das Flattern von riesigen, schreienden Raubvögeln klingt es 
hoch in der Luft. 
Schon beginnt sich der Boden zu lichten. Draußen auf dem Platz 
reihen sich die Liegenden. Ab und zu kommt ein Wagen, wird beladen 
und fährt davon. Die Räder holpern über das Pflaster. Niemand ver- 
nimmt das Schmerzesstöhnen derer im Innern.
	        
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