Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

100 
Mit heiserem Heranheulen springt ein vierfacher Schlag mitten auf 
den Platz. Ein paar Scheiben splittern. Die Scherben klirren zu Boden 
und bedecken die Füße der Verwundeten. Schwefeldunst zieht durch den 
Eingang. Die Mauern dröhnen bis in die Grundfesten. Ein paar Eisen- 
stücke fegen herein und klatschen gegen das Gebälk. Unruhe fällt über 
die am Boden Liegenden. Einige versuchen sich aufzurichten und auf- 
zustehen. Kraftlos fallen sie wieder um. Die Sanitäter laufen hin und 
her und versuchen die Armen zu beruhigen. Wenn doch nur Wagen 
kämen, daß man sie alle fortschaffen könnte. Aber es sind ihrer ein paar 
Hundert . . . 
Eben haben zwei Sanitäter einen baumlangen sächsischen Jnfante- 
risten hereingebracht. Er stützt sich auf seine Begleiter. Der Kopf ist so 
verbunden, daß kaum die Augen zu sehen sind. Kein einziger Platz ist 
mehr in der Kirche. Man stellt einen Stuhl in den Eingang. Behutsam 
wird der Lange daraus gesetzt. Ein Arzt kommt herbei. Der Verband 
wird gelöst. Just wie der Arzt den letzten Bandstreifen voll geronnenen 
Blutes loslöst, gibt es einen Schlag. Das Haupt des Verwundeten sinkt 
schwer vornüber, der Körper rutscht langsam vom Stuhl zur Erde. Der 
Arzt springt beiseite und erblaßt. Eine Jnfanteriekugel hat dem Sachsen 
die Stirn durchbohrt, mitten zwischen den Augen. Leise singend rauschen 
die Kugeln hoch über den Platz um den brandverkohlten Kirchturm. Zwei 
Träger fassen die Leiche und tragen sie hinaus zu den anderen . . > 
Die nächste Batteriesalve fällt mitten auf den Kirchhof unter die 
Leiber derer, die ausgelitten haben. Von den Wänden der Kirche stürzt 
der Mörtel und streut sich über die Verbände. Unterdessen läuft die 
Nachricht von dem Tod des Sachsen von Mund zu Mund unter denen, 
die noch sprechen können. Die Arzte beratschlagen, wie man die Kirche 
räumen und die Verwundeten aus dem Ort bringen kann. Es ist nicht 
möglich mit den wenigen vorhandenen Hilfskräften. Man muß es ab- 
warten. Und wenn der Engländer in den Ort eindringt . . . nun, man 
muß eben sehen . . . 
Nach einer Stunde läßt das Feuer etwas nach. Allmählich kehrt 
Beruhigung ein. Alles geht seinen Gang, die Träger bringen ihre Last, 
die Ärzte arbeiten in der Sakristei, die Toten werden neben die Kirche 
getragen, ab und zu fährt ein Wagen ein paar Verwundete davon. Aber 
immer noch mehrt sich die Zahl. 
Durch die zerbrochenen Scheiben der Kirchenfenster fällt helles 
Sonnenlicht und streut bunte Flecke über den Boden hin. Die ganze 
Kirche wird mit Glanz gefüllt. Auf den Pfeifen der Orgel blinkt der
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.