Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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Sanitäter stand lange neben ihm und warf dann einen Blick auf die 
Karte, die er geschrieben. 
„Liebe Eltern! Der Schmerz in der Brust ist groß. Aber bald, ganz 
bald werde ich bei Euch sein. Euer Einziger . . 
Am Nachmittage erhob sich das Brausen in der Luft zu einem 
rasenden Dröhnen. Leichtverwundete brachten die Nachricht mit, daß die 
Engländer von Gheluvelt bis nach Passchendaele einen großen Angriff 
unternommen hätten, und daß keine Reserven mehr auf deutscher Seite 
wären. Wenige Minuten später kam eine deutsche Batterie von vorn 
zurück mit verhängten Zügeln. Dicht vor Becelaere machte sie kehrt, schob 
ihre Geschütze in Feuerstellung. Und schon krachten die ersten Abschüsse, 
daß es laut in der Kirche widerhallte und die Verwundeten jäh empor- 
fuhren von ihrem Strohlager. 
Die Kirche war jetzt so mit Verwundeten angefüllt, daß fast kein 
freier Raum mehr auf den Steinfliesen war. Die Sanitäter, die mit 
immer neuen Tragbahren eintraten, mußten über die Leiber der 
Liegenden treten, bis sie noch ein Plätzchen fanden, wo sie ihre Last 
abfetzen konnten. 
Ein Schwerverwundeter bat mit schwacher Stimme den neben ihm 
stehenden Feldgeistlichen um das Abendmahl. Durch die Worte des Geist- 
lichen klang immer stärker das Artilleriefeuer. Mit klirrendem Bersten 
zersplitterte nicht weit von der Kirche ein schwerer Einschlag. Erdbrocken 
klatschten auf den Platz vor dem Portal. Ganz deutlich konnte man jetzt 
das heiße Vellen der Maschinengewehre vernehmen. 
„Und vergib uns unsere Sünden . 
Ein paar andere Verwundete sind auf die Worte des Geistlichen auf- 
merksam geworden. Ihre Lippen murmeln das Gebet mit. Ein Wimmern 
ist ringsum in der Kirche wie von Kindern, die nicht einschlafen können. 
Unbekümmert um das zunehmende Feuer arbeiten die Ärzte in der 
Sakristei. Neben der Kirche reiht sich jetzt schon Reihe neben Reihe. Der 
kleine Kirchhof vermag ihre Zahl kaum noch in seinen Mauern zu fassen. 
Auf der Straße ist es still geworden von dem Hin und Her der Menschen. 
Alles nimmt den Weg um den Ort herum, den die englische Artillerie 
unter Feuer hält. 
„Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewig- 
keit. Amen . .
	        
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