Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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sich plötzlich mit dem Oberkörper auf, stützte sich auf die Hände und 
schrie, indes feine Augen in verzehrendem Feuer glühten: „Vorwärts! 
Fällt das Gewehr! Die zweite Kompagnie macht einen Sprung! Ich 
übernehme das Kommando . . . vorwärts mit mir, wer ein Deutscher 
ist!" Ein tierhaftes Stöhnen quoll aus seiner Brust, er sank zurück. Weit 
aufgerissen starrten die Augen. „Sie schassen's nicht ... sie schaffen's 
nicht. . . dort das Maschinengewehr, das schlägt uns alle zusammen . . . 
verflucht!" Er knirschte mit den Zähnen. 
Sanitäter schleppten einen nach dem anderen auf Tragbahren in die 
Sakristei. Dort drinnen arbeiteten die Ärzte in unermüdlicher Tätigkeit. 
Die Ärmsten der Armen wurden von ihren zerschmetterten Gliedern 
befreit. Wenn die Tragbahre wieder herauskam, lag auf ihr ein reglofer 
Körper mit wächsernem Gesicht. Die Sanitäter betteten ihn wieder in 
die Reihe. Wer konnte sagen, wann ein Wagen kam, ihn abzuholen ins 
Kriegslazarett? Wer konnte sagen, ob er nicht eine halbe Stunde später 
hinausgetragen wurde, um das Eingangsportal herum, durch die Kirch- 
Hofspforte, dorthin, wo die Reihen derjenigen lagen, die aller Qual ent- 
hoben waren? Wer konnte sagen, ob er nicht einige Wochen später 
daheim im Zimmer saß, weit zurückgelehnt im Lehnstuhl, die blutleeren 
Hände auf den Blondköpfen seiner Iungens, alles Zurückliegende nur 
wie einen seltsam schweren und langen, von merkwürdigen Vorstellungen 
und verzerrten Bildern erfüllten Traum empfindend? . . . 
Keine Minute fast verging, ohne daß nicht durch das weit geöffnete 
Portal der Kirche eine neue Bahre hereingetragen wurde. Die Träger 
stellten ab, ergriffen behutsam den willenlosen Körper und betteten ihn 
in die Reihe, wo gerade ein Platz frei war. Dann nahmen sie ihre 
Bahre, wischten sich den Schweiß von der Stirn und schritten wieder 
hinaus, am Eingang schon dem nächsten Raum gewährend. Immer 
länger wurde die Reihe. Schon mußte man den Durchgang verengen 
und die Verwundeten näher aneinanderrücken. „Nimmt's denn gar kein 
Ende?" fragte ein Arzt mit übernächtigem Gesicht und sterbensmüden 
Augen einen der Träger. Der zuckte mit den Achseln und ging hinaus. 
Die nächste Last zu holen . . . 
Durch das Portal herein klirrte aus weiter Ferne der verworrene 
Lärm der Schlacht. Hin und wieder schwoll er an zu einem dumpfen 
Brausen, einem brodelnden Gemisch aus hundert zerberstenden Schlägen. 
Dann erzitterten dumpf die Säulen, und die bunten Scheiben begannen 
leije zu vibrieren. Die ganze Luft war dann erfüllt, und niemand konnte 
genau sagen, woher es kam. Es war überall ...
	        
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