Volltext: Aus Österreichs Höhe und Niedergang

darf 1 ). Noch kürzer gesagt: Ungarn kann nur gewinnen, darf nie 
verlieren! Für dieses eigenartige Rechtsprinzip kämpfte Ungarn und 
jeder Ungar seit Bestehen des tausendjährigen Reiches mit allen 
Mitteln juridischer und politischer Fist und — wenn durchsetzbar — 
auch mit Mitteln der Gewalt. Die Charakteristik Bismarcks über 
Andrassy: ,,Halb Advokat, halb Husar“ paßte mehr oder weniger auf 
jeden Ungarn, der sich mit Politik befaßt. Und wer befaßte sich in 
Ungarn nicht mit Politik?! — 
Zweifelsohne verdankte Ungarn dieser Rechtsanschauung sowie 
dem hierbei betätigten rücksichtslosen Vorgehen viele seiner Erfolge. 
Andererseits war es nicht zu verwundern, daß Ungarn aus Streitig 
keiten nie herauskam. Es wäre denn, daß nachgiebige Nachbarn 
oder weichgewordene Machthaber alle seine Wünsche und Forderungen 
erfüllten. Meist entwickelten sich dann aber erst recht neue und 
noch prononciertere nationale Bestrebungen. — 
Als Ungarn nach Mohacs durch Wahl an das Haus Österreich kam, 
bzw. die Krone Ungarns auf das Haupt des Beherrschers Österreichs 
und römisch-deutschen Kaisers gesetzt wurde, war es ein Rumpf, 
dem fast alle Glieder abgeschlagen worden waren. Ohne diese staats 
rechtliche Verbindung wäre es von den Türken vollständig erobert 
worden, die doch auch so durch 150 Jahre den größten und wichtig 
sten Teil des Randes in unzweifelhaftem Besitze hielten. 
Als dann die kaiserlichen Heere unter dem Markgrafen von Baden, 
Starhemberg und vor allem unter Prinz Eugen das Rand eroberten, 
war es eben eine Eroberung, äußersten Falles eine Rückeroberung, 
deren Opfer und Kosten zu weitaus größtem Teil von den kaiser 
lichen Truppen geleistet wurden. Wohl standen auch Ungarn in den 
kaiserlichen Heeren, doch fast ebenso viele Ungarn — und zwar 
ungarische Nationaltruppen — bei den Türken. Es kann absolut 
keinem Zweifel unterliegen, daß die kaiserlichen Truppen und Feld 
herren die Eroberer jener weiten Randstriche waren, die bereits einen 
integrierenden Bestandteil des osmanischen Reiches gebildet hatten. 
Kaum war aber diese Eroberung beendet, betrachteten die Ungarn 
sie nicht mehr als solche und sprachen bezeichnenderweise stets nur 
von einer ,,Befreiung“, eine Terminologie, die Ungarn ängstlich und 
eifersüchtig aufrecht hielt. Dies geschah natürlich nur, um den Sie- 
*) Der König beschwört im Krönungseid: „Alle jene Teile und Provinzen 
Ungarns und seiner Nebenländer, welche bereits zurückerworben wurden, 
sowie jene, welche mit Gottes Hilfe in Zukunft zurückerworben werden sollten,- 
werden wir im Sinne unseres Eides diesem Rande und seinen Nebenländern 
reinkorporieren. “ Jeder magyarische König muß daher eidgemäß ein Eroberer 
sein. 
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