Volltext: St. Pölten (III / 1928)

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St. Pölten. 
Äste der Trauerweiden zum ruhigen Spiegel, als wollten sie der verschwundenen Pracht 
und dem glänzenden Treiben verflossener Jahrhunderte nachträumen. In Stille und Be 
schaulichkeit ist der Bau versunken mit seinen zierlichen Loggien am Berchfrit. 
Weiter geht unsere Fahrt auf malerischer Alleestraße. In einigen Minuten erreichen 
wir das Schloß Wasserburg, am Eingänge bewacht von zwei riesigen Steinsiguren. Fast 
fünf Jahrhunderte sind darüber im Zeitenschoße versunken und lächelnd grüßen von der 
Mauer die reizenden Putten zum Ab 
schiede, alles wissend, versinnbildlichen 
sie doch die vier Jahreszeiten, aber doch 
nichts verratend. Dahinter düstert dunkler 
Tann und lädt zu erquickendem Spazier 
gange in seinen schattigen Hallen. Der 
Zauber der Traisenau umfängt uns bei 
der Weiterfahrt, bis der vom Herzogs 
hute gekrönte, reichgegliederte Turm der 
Stiftskirche Herzogenburg erscheint. Ein 
zu steinerner Pracht gewordener Traum 
der Barocke Fischers von Erlach, aus 
geführt von dem in der Baugeschichte 
Österreichs rühmlichst bekannten St. Pöl- 
tener Baumeister Jakob Prandtauer und 
seinem Nachfolger Josef Munggenast, in 
einer Bauzeit von 26 Jahren (1714 bis 
1740). Reiche Fresken der St. Pöltener 
Künstler Daniel Gran und Bartholomäo 
Altomonte, ebenso von D. Francia geben 
eine farbenfreudige Symphonie der lebens 
bejahenden Zeit des 18. Jahrhunderts. 
Vom hochbarocken Festsaal und der wegen 
ihrer Scheinarchitektur bemerkenswerten 
Stiftskirche bis zum zierlichen Rokoko des Turmhelmes genießt der Besucher eine Fülle 
empfindsamer und hochkünstlerischer Eindrücke. Mit Recht können wir das Chorherrenstift 
Herzogenburg als ein Juwel spezifisch österreichischer Art betrachten. Gegenüber dem Stifte 
schläft das baugeschichtlich vielleicht noch interessantere Tochterstift St. Andrä im Kleide der 
römischen Barocke, voll südlicher Kraft und Anmut, den Dornröschenschlaf. Die glühende Frische 
Paul Trogers Fresken strahlen von der Decke des Langhauses in unverminderter Kraft, als 
ob sie nicht 1725, sondern erst gestern vollendet worden wären. Unsere Wanderung würde der 
Vollständigkeit entbehren, wollten wir das westlich von St. Andrä gelegene Kabinettstück barocker 
Kunst, die Wallfahrtskirche Heiligenkreuz, abseits lassen. Der letzte unserer großen Barockmaler, 
Franz Anton Maulpertsch, schmückte sie 1755—1758 mit herrlichen Fresken. Weiter rollt das 
Filmband der Landschaft und versetzt uns in die Zeit, als der Boden unter den Schritten ge 
panzerter Legionssoldateu der römischen Weltherren erzitterte. ,,Trigisamum" Traismauer, hielt 
Wache gegen den Ansturm der germanischen Ankömmlinge; erst der Zerfall des römischen 
Imperiums bedeutete auch das Ende aller römischen Limesbefestigungen längs der Donau. Fast
	        
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