Volltext: St. Pölten (III / 1928)

Die Bevölkerung. 
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Volksbewegung 
in der Stadt St. Pölten geboten wird, erscheint es nötig, einige Vorbemerkungen auszu 
führen. Es wird nämlich vielleicht auffallend erscheinen, daß sowohl bei den Aufstellungen 
über die Natalität, wie auch über die Mortalität dem Merkmal ,,unehelich" keine be 
sondere Bedeutung zugewiesen wird Zunächst sei dies begründet aus einer rein rechnungs 
mäßig in Betracht kommenden Tatsache. Die gegenwärtige Situation im österreichischen Ehe- 
rechte hat dem „gemeinsamen Haus 
halt", der vor etwa einem Jahrzehnt 
einerseits einen Ausnahmefall darstellte, 
anderseits durch die verhältnismäßige 
Kürze seines Bestandes für eine statisti 
sche Betrachtung von untergeordneter Be 
deutung war, in einer nicht mehr zu ver 
nachlässigenden (leider statistisch bisher 
nicht erfaßbaren) Zahl den faktischen 
(wenn auch nicht rechtlichen) Charakter 
einer ehelichen Gemeinschaft verliehen. 
Nun werden die Kinder, die einem sol 
chen gemeinsamen Haushalt entspringen, 
als „unehelich" ausgewiesen, obwohl sie 
vom soziologischen Standpunkte aus m 
der überwiegenden Zahl der Fälle ehe 
lichen gleichzustellen sind. Denn maß 
gebend für alle Schlüsse, die aus dem 
Verhältnis zwischen allgemeiner Geburten 
zahl und der Zahl der unehelichen Ge 
burten, allgemeiner Kindersterblichkeit und 
Sterblichkeit unehelicher Kinder, gezogen 
werden könnten, ist immer die Frage nach 
dem Unterschiede derObsorge, welche 
ehelichen, und jener, welche unehelichen 
Kindern zu teil wird. Bei dem heutigen 
Stande des Fürsorgewesens sind die Fälle 
jedoch weit häufiger, als mau vielleicht glauben wollte, in denen dem sogenannten unehelichen 
Kinde günstigere Entwicklungsbedingungen gewährt werden, als dem sogenannten ehe 
lichen Kinde. Wenn einmal zum Beispiel die Säuglingssterblichkeit auf einen derart nie 
drigen Prozentsatz herabgedrückt wird, wie es in St. Pölten erfreulicherweise verzeichnet 
werden kann, so ergibt sich schon daraus, daß das Moment der ehelichen oder unehelichen 
Geburt auch nicht entfernt mehr so entscheidend ist, wie dies noch vor einem Jahrzehnt der 
Fall war. Bei der allgemeinen Erschwerung der Lebensbedingungen ist es anderseits aber 
auch klar, daß dem einen (als unehelich geltenden) Kinde eines „gemeinsamen Haushaltes" 
doch viel günstigere Entwicklungsbedingungen beschert sind, als einem (als ehelich ver 
zeichneten) Kinde aus einer Ehe, in welcher dieses Kind mit vier oder fünf Geschwi 
stern aus dem bescheidenen Arbeitsverdienste des Vaters aufgezogen werden soll.
	        
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