Über Land und Meer: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902

Die Bereisung Ein Tag aus dem Försterleben Von Fritz Zkowronnek n der Amtsstube der Revierförsterei Theerbude hatten sich die Forstbeamten der umliegenden Reviere versammelt. Heute sollte „die Bereisung“ ommen, wie die Gruͤnröcke die alljährliche Be— sichtigung der Kulturen und Schonungen durch die beiden höchsten Beamten des Bezirks, den Ober— forstmeister und den Forstrat, zu nennen pflegen. Etwa ein Dutzend Förster, Forstaufseher und Hilfs— aufseher hatten sich eingefunden, alle in höchster Gala, mit blankgewichsten Kniestiefeln, den blank— geputzten Hirschfänger an der Seite. Nur der alte Revierförster Adam Lerche, ein großer, vierschrötiger Mann mit eisgrauem Schnurr- und Knebelbart, war noch nicht in Uniform. Er ging in Hemd— ärmeln in der großen Stube auf und nieder, während die Kollegen sich schweigsam, aber energisch den guten Dingen widmeten, die Frau Revierförster zum Frühstück aufgetragen hatte. Durch die offenen Fenster lachte die Maisonne herein, im Vorgarten dufteten die Fliederbüsche, und dahinter rauschte im Morgenwind der dunkle Tannenwald. Es war, als wenn ein Druck auf der ganzen Gesellschaft lastete. Kiin Wunder! Die beiden hohen Vorgesetzten erschienen zum erstenmal auf der Bildfläche, und neue Besen kehren immer scharf. Zudem ging ihnen ein Ruf voraus, der fuͤr die Grünröcke nicht sehr ermutigend war. Der Ober— forstmeister von Motzfeldt sollte ein wortkarger Herr sein, der weder lobte noch tadelte, aber hinterher kamen die „Nasen“. Von dem Forstrat Krassenltin wurde noch Schlimmeres berichtet. Er fuhr die alten Knasterbärte an, als wenn er Rekruͤten vor sich hätte, und eine entschuldigende Antwort war bei ihm nicht anzubringen. So hatte wenigstens Wittstock berichtet. Wer Wittstock war? Ein Unikum, ein Original, die lebendige Zeitung des Waldes. Einer Verfehlung wegen, die sich erst nach langen Jahren als sehr unbedeutend erwies, war er als junger Förster von Amt und Brot gekommen. Er wäre mit Weib und Kind verhungert, wenn er nicht auf den Ge— danken verfallen wäre, bei den früheren Kollegen Hilfe zu suchen. Und er fand sie. Aus jedem Forsthause nahm er ein Scherflein Geld mit. Die Frau Förster steuerte Mehl, Eier, Butter, Speck u. dergl. bei. In jeder Woche schickte er ein Päckchen an seine Frau ab, er selbst wanderte weiter von einer Försterei zur andern. Jetzt trug er seinen Wanderstab und Ranzen schon mehr als dreißig Jahre. Die Haare waren ihm ergraut und weiß geworden, aber seine hohe Gestalt war noch un— gebeugt. Seine beiden Söhne waren tüchtige Menschen geworden, seine Frau hatte er begraben, er aber pilgerte weiter, überall gern gesehen und freundlich empfangen. Denn die Nachrichten, die er brachte, wurden in den einsamen Forsthäusern mit Sehnsucht erwartet. Er brachte Grüße von Bekannten und Verwandten, er berichtete über die Veränderungen im Forstpersonal, über Versetzungen und Pensionierung, er gab Aus— kunft über jedes Mitglied jeder Försterfamilie bis zum kleinsten Sprößling herab, er wußte, wie hier und dort die Ernte ausgefallen war, wie die Kulturen im Walde gediehen, er hatte auch die Kunde über die neuen Vorgesetzten gebracht. Jeder der Grünröcke hatte das Bewüßtsein treu erfullter pPflicht, aber manche Schonung wollte trotz aller Pflege nicht gedeihen, und einzelne Pflanzungen zeigten nur zu deutlich die zerstörende Arbeit bös— artiger Insekten. Ein wohlwollendes Urteil würde die Schuld an dem Mißerfolg nicht ihnen zur Last segen, aber ... Einer der Kutscher, der am Hofthor Posten ge— tanden, kam jetzt mit der Meldung, daß der Wagen nit den Vorgesetzten in Sicht sei Eilig warf der Revierförster seinen Rock über und steckte den Hirsch— änger ein. Eine Ehrenwaffe war's, vom Jagd— chutzverein für einen mutigen Kampf mit Wilderern gestiftet. Eine Minute später standen die Grün⸗ röcke, nach dem Dienstalter geordnet, vor dem Forst— hause und salutierten militärisch die Vorgesetzten. Langsam schritt der Oberforstmeister die Reihe ab, während der Oberförster die Namen nannte. Ein wenig bärbeißig sah der alte Herr aus, aber das Auge blickte wohlwollend auf die wetterfesten Ge— stalten. Nur einer schien ihm nicht zu gefallen, der Forstaufseher Eckardt, ein schlanker, fehniger Jägersmann. J „Sie sehen ja so hohl aus um die Augen herum. Es wird doch im Walde kein Heu geharkt, werden auch keine Beeren gelesen?“ „Nein, Herr Oberforstmeister.“ „Sind Sie krank?“ „Nein, Herr Oberforstmeister.“ „Na, zum Teufel, was fehlt Ihnen denn?“ „Ich habe drei Wochen, Tag und Nacht, im Walde kampiert.“ „Zum Vergnügen?“ „Nein! Wir haben einen sehr bösartigen Wild— dieb hier im Revier, dem nicht anders beizukommen pa Da nahm ich mir drei Wochen Urlaub und „Bravo, bravo! Und der Erfolg?“ „Gestern früh trafen wir zusammen. Er schoß oorbei, ich traf.“ „Tot?“ „Nein, Kugel sitzt im rechten Schulterblatt.“ Als Zeichen der Anerkennung griff der Ober— orstmeister an seinen Hut, während die Grünröcke defriedigte Blicke tauschten und der alte Förster Wenger seinem Nebenmann zuflüsterte: „Das war der Rausreißer!“ Es war in der That ein echtes Jägerstück, das der Forstaufseher vollbracht hatte. Während alle Welt glaubte, daß er in seine Heimat berreist sei, lag der sunge Mann tagsüber in dichter Schonung versteckt, nachts wanderte er umher oder tand am Waldrand, dem Gehöft des Wilddiebs gegenüber auf der Lauer. Nur ab und zu schlich er sich um Mitternacht in ein Försterhaus, um seinen Proviant zu ergänzen. Ein paarmal war der schlaue Bursche dicht an ihm vorbei in den Wald gewechselt, aber ohne Gewehr, das er irgendwo

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