201 VI DurMe Existenzen Auf dem Bahnhof in Omsk erfuhren wir, daß wir auf den nächsten Zug nach dem Westen bis fünf Uhr mor gens warten müßten. Sechs Stunden hatten wir also noch Zeit. Es hatte sich nach der Revolution manches auf dem Bahnhof geändert. Vor allem fehlten die Gendarmen, die früher die Pässe revidiert hatten. Eine Unmenge Soldaten, Frauen und Kinder lungerten auf dem Bahnhof herum, die meisten lagen auf den Bänken und schliefen. Auch der Wartesaal erster und zweiter Klasse war der Revolution zum Opfer gefallen. Es herrschte jetzt überall der gleiche Schmutz. Obgleich wir sicher sein konnten, daß unsere Flucht frühe stens am nächsten Tage dem Lagerkommando bekannt wer den würde, wäre es uns sehr viel angenehmer gewesen, so fort abfahren zu können. So blieb uns nichts anderes übrig, als es uns auf einer Bank bequem zu machen und zu warten. Mucha und mich beunruhigte dieser Aufenthalt nicht so sehr, aber Kracht, der seinen ersten Fluchtversuch unter nahm, machte das Warten nervös. Wir versuchten, ihn zu beruhigen, aber immer wieder stand er auf und ging hinaus, um nach der Bahnhofsuhr zu sehen. Er hatte das bestimmte Gefühl, wir würden noch auf dem Bahnhof verhaftet werden. Es war ihm nicht auszureden. Schließlich ertrug er das Warten nicht länger und verließ uns, um in der Stadt feine Bekannten aufzusuchen. Vor der Abfahrt unseres Zuges wollte er wieder kommen. Mucha und ich verabredeten, nicht in demselben Abteil miteinander zu reisen. Es schien uns weniger gefährlich und