^ ' ‘ 1631 11 * Unmittelbar vor Torschluß knüpfte unser Schauspiel wieder lan die Darbietungen zu Beginn der diesjährigen Spielzeit an und l brachte. nachdem man jetzt wochenlang fast ausschließlich drama- Itische Kinoware gepflegt, ein modernes Drama, dem man inneren iWert zubilligen muß: „Sumpf". Es ist in und aus dem Um- Isturze entstanden, hat einen jungen Frankfurter, der aus einer iKaufmanns-kamitie stammt und sich als Volkswirtschaftler betätigt lhat, Leopold S ch w a r z s ch i l d, zum Verfasser. In einem Vor- lwort zur Buchausgabe verwahrt sich der Dichter ausdrücklich gegen Ijede parteipolitische Ausdeutung des Stückes und versichert, „Licht lund Schatten inneMrlb der Grenzen dramatischer Möglichkeit pari- Itätisch verteilt zu Wben". so daß „jede einzelne Figur, ohne daß ^Problemstellung und Psychologie des Stückes irgendwie berührt Iwürde, mit ihren Ueberzeugungen ebensogut im polar-entgegen- Igesetzten Lager stehen könnte". Tatsächlich unterscheidet sich iSchwarzschilds „Sumpf" von den verschiedenen anderen deutschen iRevolutionsdramen, die mit einer gewissen Hurra-Begeisterung Iden Umsturz als Vollendung preisen, dadurch, daß der Verfasser Isorgsam jedem Ueberschwang aus dem Wege geht und, sozusagen Irrrit einer kritischen Laterne gleichermaßen in die alten wie in Idie neugeschaffenen Verhältnisse hineinleuchtet und mit kühler kNLchternbeit die Mitspieler von einst wie von fetzt zeichnet.' Trotz Idieser unleugbaren Objektivität, mit der Schwarzschild über den »Ereignissen und Personen seines Dramas steht, ist aber doch der „Sumpf" nichts als ein Niederschlag eigenen Erlebnisses, ein Selbstbekenntnis des Dichters. Denn sein Stück ist die Tragödie eines Idealisten, der mit seinem Idealismus an den realen Ver hältnissen und an den eben gar nicht idealen Mitmenschen scheitert. Wie der Held des Dramas, der Grobschmied Wilkert, seine höchsten Absichten an der moralischen Kleinheit seiner Kampfgenossen zerschellen steht, hat offenbar auch der Dichter durch die Ereignisse des Zusammenbruches und Umsturzes eine tiefgehende Enttäuschung erlebt- In den letzten Kampftagen an der deutschen Front des Jahres 1918 warf den Dichter ein schwerer Nervenchok nieder. Als der Umsturz erfolgte, lag er krank im Lazarett. Zweifellos hat auch Schwarzschild die Revolution als Erlösung, als hoff nungsreichen Beginn einer neuen, besseren Zeit, einer moralischen Erneuerung jubelnd und vom ganzen Herzen begrüßt, aber dann mit Schrecken gesehen, daß auch diesmal wieder der große Augen blick ein kleinep Geschlecht gefunden habe. Die Menschen, die sich nun an die SMen der früheren drängten, waren nicht besser als jene. Nicht Streben nach dem Besseren, nach großen Zielen be herrscht sie, sondern Rachegelüste. Geldgier, Habgier und Grau samkeit. „Richt Rache, sonvern Recht" verlangt sein Held Wilkert und predigt: „Jedem einzelnen sag" i^- Hände lg über! Selbst blank müssen wir sein, wenn wir den Dreck ausputzen wollen." Statt dessen aber zeigt die Entwicklung ein ganz anderes Bild. das der alte General, in dei^ Stücke der Vertreter der ehrenfesten Elemente der alten Zeit, in die Worte zusammenfaßt, die er zu dem Revolu tionär Wilkert spricht: „Diese Welt will aar nicht frei sein. Sie hat sich selbst einen heimlichen Kaiser verschrieben und dient ihm. Dieser Kaiser Leißt Genuß. Sein Kanzler ist das Geld, sein Feldherr der Betrug. Aas sind die wahren Landesfürsten und ^Ehre und Eicht und alles andere — das gibt es gar nickt; d«s find nur Phrasen, für Dumme unseres Schlages gemacht/ Und aus diesem bitteren Pessimismus entwarf Sckwarzschild im Le ber 1Ö18 im Lazarett sein Drama, das er im Juli 1919 vollendete. Sumpf überall, Sumpf hüben und drüben, Sumpf mit seinen schwälenden, stickigen Ausdünstungen, die die Lust ver pesten und dis Menschheit vergiften. Aber nur in reiner Lust - kann wahre Freiheit gedeihen. Auf eine Zeit, wo es keinen Sumpf mehr gäbe, hofft der Dichter mit seinem Helden Wilkert, der trotz seines Scheiterns nicht zugWht, daß seine Sache falsch sei; „sie ist nur undurchführbar bei diesen Menschen heute." Ein Vorspiel, das tatsächlich schon ein Akt des Dramas ist, | zeigt die dumpfe Gärung unmittelbar vor dem Umstürze — in eine r Kaserne- Ein F rontbataillon soll ab gehen, lauter Leute, die die Schrecken des Krieges schon kennen und die Ueberzeugung haben, daß der Krieg verloren sei und sie nur mehr nutzlos ge opfert werden sollen.' Da bringt Wilkert von draußen die Parole: Es kann losgeben! mrd die offene Meuterei bricht los. Wilkert 1 übernimmt die Führung, neben ihm taucht aber der Gießer Knopp empor, ein brutaler Gewaltmensch, der nur seinen Rachegelüsten frönen und für sich möglichst viel Nutzen herausschlagen will aus der neuen „Freiheit". Seinen blutrünstigen Reden gegen über verhallen die Mahnungen Wilkerts. reine Hände zu behalten, nur das Recht walten zu lasten, im tobenden Lärm. Ein Offizier wird grausam ermordet und Knopp zieht mit einigen Genossen zur Besetzung des großen Hüttenwerkes in der Nähe aus- Dort sitzt der geriebene Generaldirektor Ponader mit seinen Auffichts- räten beratend beisammen. Ponader fürchtet nur einen, den un beugsamen Idealisten Wilkert, mit dem Knopp und seiner Sippe wird er schon fertig werden. Und er wird es, Knopp, der zuerst mit den geschwollensten Kraftphrasen herumwirft, nebenbei für sich einen schönen Pelz stiehlt, läßt sich von Ponader um den Finger wickeln, als dieser ihm neben dem Zugeständnisse allgemeiner ge waltiger Lohnerhöhung eine Stelle im Direktorium des Unter nehmens anbietet. So schließen Ponader und Knopp, diese ein ander würdigen schönen Seelen, einen Pakt. Nur einer der Aufsichtsräte, ein alter General er. D., ein offener, gerader Charak ter, der sich nicht entschließen kann, den Mantel nach dem Wind zu drehen, will von diesem schmählichen Kuhhandel nichts wissen. Dafür wird er jämmerlich verprügelt und sein Haus ausgeplündert und zerstört. Triumphierend gibt Knopp in einer Arbeiterrats- sttzung feinen Erfolg bekannt, natürlich in entsprechender Beleuch tung. Da wird es nun sehr stürmisch, denn Wilkert tritt ihm ent gegen und wirst ihm schließlich Verrat vor. Aber bei dieser Schei dung der Geister unterliegt der Idealist Wilkert,, ein Geschlagener, Ueberwundener, verläßt er mit wenigen Getreuen, dem Arbeiter Black und der Arbeiterin Anna Wittrop, die in schwärmerischer Verehrung für Wilkert erglüht, die Versammlung, von den höhni schen Rufen der, siegreichen Knopv-Leute begleitet. Diesen drei glänzend geführten, wild bewegten Akten folgt nun ein- letzter, ein verhältnismäßig stiller Ausklang. Gerade hier aber, in dem weniger effektvollen Teile des Dramas stnden sich wahre poetische Schönheiten. In Annas ärmlicher Kellerwohnung sitzen die drei beisammen. Wilkert verzweifelt nicht an der Wahrheit'und Rich tigkeit seiner Sache, wohl aber an deren Durchführung. „Die Sehn süchtigen sind niedergeschlagen", lagt er, „aber die Sehnsucht ist un sterblich." Hier bekommt nun Wilkert seltsamen Besuch. Der alte General kommt und nun stnden sich diese beiden Edelmenschen, die ihre Ueberzeugung nicht für persönlichen Vorteil verkaufen und von denen deshalb jeder der Gemeinheit seiner Zeit erlegen ist, im lHsaenseitigen Gespräche und reichen sich trotz aller Gegnerschaft in Achtung die Hände. Aber auch Knopp erscheint. Er will versuchen, Wilkert, den er noch immer fürchtet, zu sich herüberzuziehen, in dem er — der nunmehrige „Herr Direktor"ihm eine gute Stelle in der Fabrik anbietet. Voll Verachtung weist ihm Wilkert die Tür, obgleich er weiß, daß er sich damit das Urteil spricht. Erl will Märtyrer seiner Ueberzeugung werden — das ist das einzige, was er für seine heilige Sache tun kann — und so erwartet er ruhig die Schergen Knopps und schreitet mit ihnen gefaßt und' ungebrochen seinem Schicksale entgegen. Ein starkes Stück, voll lebendiger Bewegung und voll schöner Gedanken, trefflich aufgebaut in den Massenszenen, die trotz des - unleugbar expressionistischen Zuges des Ganzen streng naturalistisch durchgeführt erscheinen. Für ein Erstlingswerk ist die Technik ebenso bewundernswert wW die kritische Kühle, mit der der junge Dichter an seinen Stoff herangeht. Schade, daß man das Werk, wohl die bedeutendste der heunaen Neuheiten, erst ist den letzten Tagen der Spielzeit herausbrachte, in der ungünstigsten Theater- zeit. Das Haus war denn auch nur schwach besucht, der Erfolg aber dennoch ein durchschlagender, der Beifall, den das Werk fand, ein außerordentlich starker. Die Vorstellung unter unseres verdienstvollen Dramaturgen Dr. Seidls hingebungsvoller Leitung war trotz zu kürzet Vor bereitung eine gute. Die schwierigen Massenszenen, in denen der Spielleiter selbst-auf die Bühne trat, um als geschickter Kapell meister den Ton anzugeben, klappten im allgemeinen und wickelten sich natürlich, ohne theatralisch zu scheinen, ab. Unterstützt wurden sie durch eine Reihe lobenswerter Einzelleistungen. Der Grob schmied Wilkert, der einfache Arbeiter, der sich „bei Tage am Am stoß, bei Nacht über den Büchern" in strenger Selbst- j zucht zur starken Individualität und ebenso imponierender Selbst-' zucht emporgearbeitet, fand in Herrn Farkas treffliche Wieder-! gäbe. Abgeklärte Ruhe, durch die in kritischen Augenblicken doch wieder die innere Flamme der Begeisterung durchbricht, gezügelte Energie und dann stille, weihevolle Resignation lagen über dieser Gestatt. Brutal» und doch wieder mit der Schlauheit des nur seinem persönlichen Vorteil nackjagenden schlechten Kerls gab Herrl Hohenau den Gegenspieler Wilkerts, den blutigen Knopp. Nu-rl hätte er in der Szene bei Ponader noch etwas proletarischer aus-I sehen sollen, und in der Versammlungsszene störte es, daß er immer | in die am Tische liegende Rolle hineinsah, was umso unnötiger war, als er sie ja ohnehin beherrschte. Das Quartett des General-1 dirsktors mit feinen Aufsichtsräten bringt die Vertreter der alten I Zeit. Ihre Knopps find der Generaldirektor Ponader, der in I jeder Lage oben zu bleiben versteht und den Herr Pammerl mit ruhiger Ueberlegenheit spielte, der gefinkelte Geheimrat Hauche-1 corne, der auch in der schlimmsten Situation einen Witz zur Ver-I fügung hat. von Herrn Frey tag köstlich dargestellt, und derl kniew,eiche, adelige Landrat (Herr VaschatcH. Ihnen steht derl alte General gegenüber, wie Wilkert ein Mann von eherner [ Charakterfestigkeit, dem Herr Ewald die edle Würde des Alters I verlieh. Die Anna Wittrop, das tapfere Mädel, das in Wilkert I den Propheten wie. den Mann verehrt und liebt, gab Fräulein! Dietrich mit jener rührenden Einfachheit und verhaltener Glut,! die wir an ihr schon wiederholt zu rühmen hatten. Als Wilkerts! treue Jünger Black und Krähn sind die Herren Doppler und! Holitzer, als wildstürmerische Anhänger Knopps die Herren! S i e g s r t (Zotka) und Groß (TetkoiD. sowie Fräulein Wanal nach Verdienst zu nennen. In einem Stücke, das so stark auf diel Ensembleszenen gestellt ist,'erscheinen auch die kleinsten Rollen vonl Bedeutung, so sei denn auch ihren Trägern ohne weitere Namens-l nennung die Anerkennung ausgesprochen. Sie alle taten das Ihre I damit die Tätigkeit unseres diesjährigen Schauspieles mit der Auf-^ führung des „Sumpf" einen ehrenvollen Abschluß finde. Dr. Karl Gärn er.