24 Der Bericht des Gemeinde- und V e r f a s s n n g s a u s s ch n s s e s vom 29. September 1874 schließt sich diesem Antrage an; in der Motivirung kommen folgende bemerkenswerthe Stellen vor: „Ein derartiges Gesetz mag vielleicht in Ländern am Platze sein, in welchen Mangel an Aerzten (und Hebammen) herrscht, in Ober- österreich ist es wenigstens überflüssig." Dann: „Wenn nach den Beschlüssen des Landtages nach und nach die lebens¬ unfähigen Gemeinden verschwunden und an deren Stelle größere und kräftigere getreten sein werden, so werden von diesen auch allniählich die in sanitärer Beziehung bestehenden Gebrechen beseitigt werden." Der Antrag gelangte in der Land tag ssitznng vom 1. Oktober 1874 als erster Punkt der Tages¬ ordnung zur Berathung. Bei der hierüber eröffneten Debatte berührte Abgeordneter Pfarrer Binder den Geldpunkt, findet in dem Entwürfe auch eine Ueberbürdnng der Gemeindeärzte, die dann keine Praxis ausüben könnten, sowie die Schaffung einer zu großen Conknrrenz für die übrigen Aerzte. Dechant von Pflügt kritisirt die Motive des Gesetzentwurfes, diese seien: der Mangel an Aerzten, der in Abrede gestellt und als imaginär bezeichnet wird; die unzureichenden Existenzmittel der Aerzte, wogegen behauptet wird, es gebe keine armen Aerzte, und weit mehr wohlhabende Aerzte, als vermögliche Landbewohner; die höheren Anforderungen für den politischen Sanitätsdienst, wofür der Staat aufkommen möge. Er sieht allerdings die Gefahr eines drohenden Aerztcmangels dnrch die Aufhebung der medizinisch-chirur¬ gischen Lehranstalten und befürwortet deren Wiederrichtung, vorläufig wenigstens die Sistirung der Aufhebung derselben. Der k. k. Statthalter Baron Wiede nfeld betont, daß im § 5 des Sanitätsgesetzes voin Jahre 1870 gewißermassen die Berpflichtnng der Gemeinden für die Besorgung des Sanitätsdienstes ausgesprochen sei und daß es nicht in deren Belieben gestellt sei, ob überhaupt etwas zu thun sei, sondern daß im Wege der Landesgesetz- gebnng bestimmt werden solle, ans welche Weise die Gemeinden für die Besorgung des Sanitätsdienstes anfznkommeii haben. Die Negierung hat in dieser Richtung die Initiative ergriffen, weil sie von der Nothwendigkeit einer Sanitäts¬ reform in den Gemeinden überzeugt war. Er widerlegt die Gründe, welche in dem Berichte gegen diese Nothwendigkeit angeführt werden. Mangel an Aerzten bestehe allerdings nicht für die Praxis, wohl aber für den öffentlichen Sanitäts¬ dienst. Der Kostenpunkt sei diskntirbar und könne kein Grund dafür sein, daß das Gesetz über Bord geworfen werde. Der Einwand, daß es nicht eines eigenen Gesetzes bedürfe, um die Gemeinden an ihre Pflicht zu erinnern, geht von einer optimistischen Anschauung ans, die mit den bezüglichen Erfahrungen im Widersprüche steht. Der Ausfall ans die Bureaukratie wird zurückgewiesen mit den anerkannt wohlwollenden Absichten der Regierung, der es nur darum zu thun ist, die sanitären Verhältnisse Oberösterreichs zu verbessern und anerkannten Uebelständen abzuhelfen. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf, daß dnrch die Annahme des Gesetzes die Sanitätspflege nicht besser werde; die Regelung des Sanitätswcsens auf dem Lande sei keineswegs überflüssig. Er empfiehlt das Eingehen in die Berathung der Details der Regierungsvorlage. B e r i ch t e r st a t t e r Zehetmayer stellt in seinem Schlußworte die Verpflichtung der Gemeinden in Abrede, Gemeindeärzte zu bestellen und zu besolden; dieser Verpflichtung könnte die Gemeinde auch auf einem anderen Wege nachkommen. Hierüber wurde v o in hohen Landtage m i t S t i m ni e n in e h r h e i t der Beschluß auf Uebcrgang zu r Tagesordnung nach Antrag des Gemeinde- und Berfassnngsaus- s ch ns se s gefaßt. Dieser Beschluß wurde mit Note des Landesausschusses vom 14. Oktober 1884 Z. 10665 unter Rückschluß der Erhebnngsakten an die Statthalterei mitgetheilt und von dieser mit Bericht vom 21. Oktober 1884 Z. 3375/krüs. dem hohen Ministerium des Innern bekannt gegeben. Der angeführte Landtagsbeschlnß erfuhr in den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung eine Beurtheilung, welche hie und da in entschuldigendem, zumeist aber im abfälligen Sinne gehalten war. In der Sitzung des Abge¬ ordnetenhauses des hohen Reichsrathes vom 12. Mai 1879 äußerte sich der Berichterstatter Dr. Beer anläßlich der Debatte über die Restitution der Chirurgenschulen in Betreff der in Rede stehenden Regierungsvorlage, wie folgt: Die Regierung ist zur damaligen Zeit von ganz nnrichtigen Voranssetznngen ausgegangen; ich zweifle nicht daran, daß, wenn, sie diese Gesetzentwürfe in den Jahren 1871 oder 1872 den Landtagen vorgelegt Hütte, zu der Zeit, als man noch überall vom volkswirthschaftlichen Aufschwünge sprach, man über die Organisation des Sanitätsdienstes nicht einfach hinweggegangen wäre. Das Unglück für die Regierungsvorlage war. daß sie im Jahre 1873 kam, als man sich einiger¬ maßen mit der Dekadenz des wirthschaftlichen Lebens vertraut machen mußte, und die Gemeinden nicht übernehmen konnten oder nicht übernehmen wollten, alle» Ansprüchen und Anforderungen, welche an sie gestellt wurden, Rechnung zu tragen. In der L i u z e r Tagespost, Jahrgang 1874 Nr. 227 und 229 erschien eine Besprechung über diesen Gegenstand von Dr. Leopold Winternitz, welcher bemerkt, daß die Organisation des Sanitätsdienstes in den Gemeinden die Basis für das ganze Gebäude bilde, welches man statt von unten, von oben zu bauen angefangen habe. Die Sanitätsorgailisation müsse aber durchgeführt werden; wenn auch die nächsten Landtage über eine ähnliche unanS- bleibliche Vorlage abermals zur Tagesordnung übergehen; es muß doch einmal ein Landtag kommen, der sich der Sache annimmt, und diesem wird der Ruhm bleiben, ein Gesetz vvtirt zu haben, welches für das physische Wohl der Bewohner von bleibendem Vortheile sein wird.