Dokumente. 271 Kr. 83 Der Staatssekretär des Reichsschayamts Rühn an den Staats sekretär des Innern Dr. Delbrück Abschrift Berlin, den 21. März 1914 Nach dem Ergebnisse der kommisiarischen Beratung vom 13. dieses Monats über Fragen der wirtschaftlichen Mobilmachung habe ich den Eindruck gewonnen, daß dort die Absicht bestehe, die Frage der Kostenpflicht für die Versorgung der Zivil bevölkerung in den Festungen erst nach der Entschließung über die für diesen Zweck zu treffenden organisatorischen Maßnahmen zum Austrag zu bringen. Dagegen hat der Herr Finanzminister in seinem Schreiben vom 10. dieses Monats es als zweck mäßig bezeichnet, die Frage der Kostenpflicht zu klären, bevor über die Einzelheiten weiter verhandelt wird. Ich kann mich grundsätzlich dieser Auffassung nur an schließen, weil meines Erachtens die Ausgestaltung der im einzelnen zu treffenden Maßnahmen von der Erledigung der Kostenfrage wesentlich beeinflußt wird. Ich vermag aber auch Nachteile aus einer solchen vorherigen Klärung dieser Frage nicht zu erkennen; die für die weiteren Entschließungen zur näheren Feststellung des Be darfs von Preußen aus bereits eingeleiteten Ermittelungen können unbehindert ihren Fortgang nehmen. Vis zum Abschluß dieser umfangreichen Feststellungen wird wenigstens eine grundsätzliche Beschlußfassung über die Kostenfrage erfolgen können. Ich darf daher Euer Exzellenz bitten, diese schon jetzt zum Gegenstände der Erörte rungen zu machen und mir Ihre Auffassung mitzuteilen. In Ergänzung meines Schreibens vom 9. dieses Monats möchte ich Gelegenheit nehmen, den Stand punkt der Reichsfinanzverwaltung kurz darzulegen. Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln, hier insbesondere mit Brotgetreide und Fleisch, während eines Krieges kann wegen der vollständig ver änderten Produktions- und Verkehrsverhältnisse großen Schwierigkeiten begegnen. Diese Schwierigkeiten werden namentlich in Festungsstädten zu besorgen sein, weil diese in erhöhtem Maße von den durch die Kriegführung bedingten Maßnahmen be troffen werden. Auch kann nicht bestritten werden, daß die auskömmliche Ernährung der Zivilbevölkerung für die militärischen Entschließungen von Wichtigkeit ist, schon weil jede kriegführende Macht ein hohes, auch politisches Interesse daran haben muß, daß die Bevölkerung in ihrer gesamten wirtschaftlichen Gebarung nach Möglichkeit vor Störungen und Schäden bewahrt bleibt. Dieses Interesse kann in Festungs- städten nach den Erfahrungen der Kriegsgeschichte in gesteigertem Maße hervor treten, weil die Widerstandskraft einer belagerten Festung zu einem nicht geringen Teile von dem Ernährungszustände der Zivilbevölkerung abhängt. Insofern kann die Behauptung nicht als unzutreffend bezeichnet werden, daß eine ausreichende Ernährung der Zivilbevölkerung zugleich den Interessen der Kriegführung dienlich ist. Wenn indessen aus diesem Zusammenhange zwischen Kriegführung und Er nährung der Zivilbevölkerung die Schlußfolgerung hergeleitet wird, daß das Reich der verantwortliche Träger der Kostenpflicht für die im Frieden schon vorzubereitende Sicherstellung dieser Ernährung sei, so muß hiergegen mit aller Entschiedenheit Wider spruch erhoben werden. Nach der in der Reichsverfassung begründeten Zuständigkeit des Reiches liegt ihm neben der Gesetzgebung auf den in Artikel 4 näher bezeichneten Gebieten hauptsächlich die Vertretung der auswärtigen Interessen und in Verbindung