Dokumente. 217 Nr. 74 Der preußische Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten v. podbielski an den Staatssekretär des Innern Or. Grafen v. posadowskyNVehner') Ausfertigung Berlin, den 2. November 1906 Die mir unterm 27. August d. I. mitgeteilten Aufzeichnungen geben mir zu folgenden Bemerkungen Anlaß. Nach der Fassung einzelner Äußerungen in der Niederschrift über die Be sprechung vom 11. Juni d. I?) könnte es den Anschein gewinnen, als ob die Aus sichten für die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln im Kriegsfälle zu günstig beurteilt worden seien. Meines Erachtens dürfen namentlich die Erspar nisse an Lebens- und Futtermitteln, die durch Einschränkung im Betriebe der land wirtschaftlichen Nebengewerbe — Brennerei, Stärkeerzeugung, auch Brauerei — erzielt werden können, nicht überschätzt, andererseits der durch den Krieg selbst ent stehende Minderertrag der Landwirtschaft und Mehrbedarf an Nahrungsmitteln nicht zu gering angeschlagen werden. In erster Hinsicht gestatte ich mir zur Er gänzung der Erörterungen vom 11. Juni darauf hinzuweisen, daß die Einschrän kung der Spiritusbrennerei die ungestörte Versorgung des Inlandes mit Petro leum vorausseht, deren Möglichkeit im Kriegsfälle zweifelhaft erscheint. Über die Mengen, um die der Ertrag der Inlandsernte durch die dem landwirtschaftlichen Betriebe aus der Mobilmachung und dem Kriegszustände erwachsenden Störungen vermindert wird, lassen sich nur ganz allgemeine und unbeweisbare Vermutungen ausstellen. Der durch den Kriegsfall hervorgerufene Mehrbedarf an Nahrungsmitteln dagegen dürfte sich bis zu einem gewissen Grade von Genauigkeit rechnerisch er mitteln lassen, da der Bestand des mobilen Heeres und die Höhe der Tagesrationen bekannt ist. Vergleicht man den hieraus sich ergebenden Verbrauch der Feldarmee mit dem ebenfalls bekannten Durchschnittsverbrauch einer entsprechenden Menschen menge, berücksichtigt man dabei die Schwierigkeit der Zufuhr für die im Felde stehenden Truppen, die bedeutenden Ausfälle, die namentlich an Fleisch durch Weg nahme, Krankheiten, Gewichtsverlust der Schlachttiere auf dem Wege entstehen, so wird sich, wie ich fürchte, ergeben, daß nicht allein die Getreideproduktion, sondern auch der Viehstapel Deutschlands in seinem gegenwärtigen Bestände den Anforde rungen des Kriegsfalles nicht, wie in der Verhandlung vom 11. Juni d. I. von einigen Seiten angenommen wurde, auf die Dauer gewachsen ist. Bei der besonderen Wichtigkeit dieser Frage für mein Nessort habe ich den Herrn Kriegsminister um Mitteilung der für eine Berechnung nach obigem Ansah erforderlichen zahlenmäßigen Unterlagen ersucht und behalte mir ergebenst vor, nach deren Empfang auf die Sache zurückzukommen. ö Dodbielski x ) Das Schreiben ging auch an den Kriegsminister Generalleutnant v. Einem. 2 ) Text-Band S. 309.