VERLAG JOSEF KÖSEL & FRIEDRICH PUSTET MÜNCHEN FRANZ HERWIG: DER TOD SEBASTIANS Menfchen ballten lieh zufammen, Hoffen hin wie Lava, zäh und feurig. Floffen wohin? Tödliche Waffen wurden getragen und gefahren, grelle Fahnen wallten auf. „Zum Kampf!“ fchrien viele Stimmen. Was war das für ein Kampf, töricht und nutzlos, da er nicht um Gott ging? Grünes Licht aus den Raubtieraugen Luzifers überftrömte fie; fofort brachen die Fenfterfcheiben großer Kaufhäufer; Ballen, Kiffen, Geräte, Gefchirre wurden auf die Straße geworfen, Straßenbahnen umgeftürzt und zertrümmert, in Bankräumen krach ten Sprengpatronen, mit Armen voll Geldfcheinen liefen Kreifchende herum, mit Biffen und Fußtritten verteidigten fie den Raub. Aus Trümmern häuften fich Barrikaden. Sebaftian mit feiner Gemeinde ftrebte zur Katakombe zurück. Sie wurden von Flaufen der Wütenden zerfprengt. Sebaftian hieß die Übriggebliebenen fich einzeln in ihren Behaufungen bergen. Sie wollten bei ihm bleiben und drängten im Keller fich flehend an ihn. Mit lauter, fefter Stimme betete er, fie war wie ein geweihtes Licht, angezündet im Unwetter. Das höhnifche Plappern der Mafchinengewehre wurde zum Orkan, wie triumphierende Pau ken fchläge fielen die Abfchüffe der Kanonen ein; zuweilen ließ der fchmet- ternde Auffchrei eines Granateinfchlages das Haus erbeben. „Wir bitten nicht um Schutz“, fprach Sebaftian und erhob feine Augen, „wir beten nicht um unfer Leben. Wir flehen zu Gott auf den Knien für die Seelen derer, die fich morden. Ach, daß die Augen der Verröchelnden fich nicht fchlöffen, ohne ein Fünkchen Gotteslicht in fich auf genommen zu haben! Ach, daß die Seele mit letzter Kraft eine dumpfe Ahnung der Verklärung erfaßte! Gott, ziehe fie zu dir! Du fiehft, daß fie nicht willen, was fie tun.“ Die Ge meinde hing an feinem Munde, deffen Kraft den ihren zwang, fich ftumm zu bewegen, mehrere Menfchenhaufen, rafch nacheinander, fchwemmten überlaut in den Hof. Alle waren heraufcht von Haß, Wut, Wein; verklebte Haare ftarrten in fpitzen Büfcheln um fanatifche Stirnen, die Stimmen krächzten heifer; bebende und verkrampfte Hände richteten Gewehrläufe auf die Knienden. Weiber fpien rafend; zwei Dirnen, ehemals unter Seba- ftians Händen der Erlöfung nahe, rächten fich jetzt, indem fie Steine, Flafchen, Kot kreifchend durch die Kellerfenfter fchleuderten. Alle heulten wie Tiere und hätten wie Tiere die Zähne in das Fleifch des tödlich Verhaßten fchlagen mögen. Der junge Führer fprang vor und rief: „Jetzt, Chriften, entfeheidet euch! Liebt ihr die Geknechteten und Ausgeftoßenen, die Armen und Elenden fo, wie ihr fchwätzt, her zu uns! Die Waffe in die Hand! Der Triumph tag des Volkes ift da! Gehört euer Herz aber den Bedrückern —“ „Haltet ein!“ fagte Sebaftian unwillig. „Weißt du nicht, daß Gewehre die Menfchen nicht erlöfen können? Wir hallen nicht, wir können nur lieben.“ Der Menfch fprang vor und fchlug ihn mit der Fault ins Geficht. „Du halt keinen Mut. Prophet, wehre dich doch!“ „Meinft du nicht“, erwiderte Sebaftian ftill, „daß mehr Mut dazu gehört, deinen Schlägen ftandzuhalten, als fich zu wehren oder ein Gewehr abzu feuern?“ „Ich bin auch da!“ kreifchte eine Frau und fchlug ihn mit einem Knüttel über die Stirn.