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L. Gschwendtner:
der Länder noch nicht abgeschlossen waren. Wie man ersehen kann, ist
auch in diesem Jahre, wenigstens in diesen beiden Städten, der Rückgang
noch keineswegs zum Stillstand gekommen. Diese Tatsache damit in Zu
sammenhang gebracht,, was vorhin über Vorarlberg, Tirol und Kärnten zu
erwähnen war, legt die Vermutung nahe, daß unsere Bevölkerungsbewe
gung jetzt von der Tendenz geleitet wird, die Geburtenziffer auf ein
bestimmtes Mindestmaß herabzudrücken, und diese kleinste Ziffer dürfte,
zumindest in den Ländern, nicht mehr allzu ferne sein.
Aus diesen Untersuchungen ergibt sich, daß die österreichischen Ver
hältnisse, was die Entwicklung der Geburtenziffer anbelangt, vom E a s t-
schen „Schema“ wesentlich abweichen. Von einer Rückkehr zur Vorkriegs
fruchtbarkeit kann unter diesen Umständen wohl kaum die Rede sein.
Aber auch die Grotjahn sehe Befürchtung, daß die Geburtenziffer weiter
so wie bisher sinken wird, trifft nicht in vollem Umfang zu. Kann man
doch, wie vorhin schon erwähnt, mit gutem Grund annehmen, daß unsere
Geburtlichkeit mehr dahin neigt, die fallende Tendenz in absehbarer Zeit
zu überwinden, um dann, vorausgesetzt, daß unsere Volkswirtschaft vor
jeder weiteren Erschütterung verschont bleibt, mehr stabile Formen an
zunehmen.
Was nun die Sterblichkeit betrifft, so zeigen die Tabellen 3 und 4, daß
auch in Oesterreich die Häufigkeit der Todesfälle von Jahr zu Jahr ab
nimmt. Die im Jahre 1922 aufgetretene höhere Sterblichkeit dürfte teils auf
eine Grippe-Epidemie, teils auf die relativ hohe Zahl der Säuglinge in
dieser auf die Heiratsjahre 1919 und 1920 folgenden Zeit zurückzuführen
sein. Dieser Zusammenhang der Sterblichkeit mit der Zahl der Säuglinge
zeigt uns zugleich, daß wir keineswegs auf die Dauer mit einer so geringen
Sterblichkeit, wie sie z. B. das Jahr 1924 zeigte, rechnen dürfen. Zunächst
freilich mag die Sterblichkeit infolge des Geburtenrückganges noch etwas
weiter absinken. Aber auch jene Altersklassen, die jetzt in der Blüte der
Jahre stehen, müssen natürlich einmal sterben. Nach zwei bis drei Jahr
zehnten wird die Bevölkerung zu einem unverhältnismäßig großen Teil
aus alten Leuten bestehen; und wir müssen daher für mehrere Jahrzehnte
auf Sterblichkeiten gefaßt seip, die ein Mehrfaches der gegenwärtigen
betragen und die voraussichtlich auch einen Rückgang der Bevölkerungs
zahl zur Folge haben werden. Ich verweise in dieser Beziehung auf die
lehrreichen Darlegungen, welche Grotjahn auf S. 130 ff. seines Buches
im Anschluß an Freuden borg gibt.
Daß zwischen dem Geburtenüberschuß und der Mortalität bestimmte
Wechselwirkungen bestehen, ist nicht zu leugnen. Wenn diese Bindung so
vollständig wäre, daß jede Ueberschreitung des Geburtenüberschusses
durch erhöhte Sterblichkeit zum Ausgleich käme, so wäre die Lösung des
bevölkerungspolitischen Problems viel weniger verwickelt und seine sozial