Das Bevölkerungsproblem in Oesterreich. 175 rungsspielraum übersteigende Geburtenüberschuß nicht in dem Maße wie vor dem Krieg durch überseeische Auswanderung oder Besiedlung schwach bevölkerter Landstriche aufgenommen werden kann, sondern mehr als zu vor die Volksdichte erhöht und sohin nur durch weitere Intensivierung unserer Produktion sein Unterkommen finden kann. Zwei Momente sind es, die unserer Volkswirtschaft ein ganz besonderes Gepräge geben, der Vertrag von St. Germain und dann im weiteren die Krise der gesamten Weltwirtschaft. Durch den Vertrag von St. Germain hat man ein Gebiet, das vor dem Krieg auf seine Nachbarländer im Ver band der Monarchie stark angewiesen war, zu einem selbständigen Staats gebilde gemacht. Der Reichtum an Rohstoffen, Nahrungsmitteln u. dgl. war nie ausreichend gewesen, um den Bedarf des Landes aus eigenem zu decken. Man hat aber auch niemals ernstlich den Versuch gemacht, die Produk tionsmöglichkeit des Landes in einem solchen Ausmaß zu erhöhen, daß dieser Teil der Monarchie selbständiger geworden wäre. Man hatte sich eben allzu sehr daran gewöhnt, daß der Bedarf an Nahrungsmitteln aus den bekannten „Kornkammern“ der Monarchie bezogen werden konnte, und das war eigentlich auch selbstverständlich, da doch die Kronländer einen gesamten Wirtschaftskörper bildeten, der den Bedarf der einzelnen Gebiete durch gegenseitigen Austausch befriedigte. Die Landwirtschaft stand in den Alpenländern teilweise noch auf tiefer Stufe und trug in vielen Gegenden durchaus Raubbau-Charakter. Erst der Weltkrieg hat hier Wandlungen geschaffen, denn als die Nahrungsmittel immer knapper wurden und die bisherigen Belieferungsgebiete den Ertrag aus Grund und Boden für ihre eigene Bevölkerung zurückbehalten mußten, hieß es, der heimatlichen Scholle so viel als möglich abzuzwingen, und dadurch wurden unsere Alpen länder zum erstenmal zu einer immer weitergehenden Selbständigkeit gezwungen. Ein kleiner Nahrungsmittelausgleich zwischen den verschiede nen Kronländern fand aber auch da noch statt. Dieser versiegte erst nach Friedensschluß vollkommen, als sich die Nachbarstaaten mit hohen Zoll schranken umgaben und jede Nahrungsmittelausfuhr mit Gewalt verhin derten. Das neue Oesterreich, das erst im Krieg gelernt hat, was es heißt, für die Ernährung seiner Bürger selbst aufkommen zu müssen, war nun ganz sich selber überlassen. Ergab sich also durch den Vertrag von St. Germain allein schon eine deutliche Erschwerung unserer Wirtschaftslage, was bei einer kritischen Betrachtung der Bevölkerungsbewegung nicht übersehen werden darf, so ist doch erst der weitere Verlauf des Wirtschaftslebens für die Beurteilung der Angemessenheit eines Geburtenüberschusses, wie wir ihn heute haben, aus schlaggebend. Verhältnismäßig rasch hat sich das Volk an seine neue Lage angepaßt. Mit Mut und großer Energie ist man darangegangen, alle dem Lande zur Verfügung stehenden Erwerbsquellen zu öffnen, bereits vor-