470 32. Rom (Trachten und Sitten). Die römische Bevölkerung hat zwar, seit Rom Kapitale ist, und die Regierung der Geistlichen aufhörte, eine stark veränderte Physiog¬ nomie erhalten, aber der Geist, der das antike Rom gross zog, der unser eigenes Jugendleben beseelte, unser Gesetz und Leben zum grossen Theil noch jetzt beherrscht, die christliche Idee, welche in der Kirche die neuen Kraftmenschen schuf und den Genius der Renaissance in seiner originellen Fülle, sie alle sprechen noch in Rom vernehmlich und überwältigend. Die Betheiligung am Genuss des Lebens einer Kapitale verkehrt sich in Rom zur Steigerung des innern Lebens, die eine um so durchgreifendere ist, auf je höherer Bildungsstufe der Mensch steht. Mit neuer Begeisterung gehen jetzt die Italiener auch an die mo¬ rn er ne Aufgabe, die alte ruinen¬ reiche Metropole der Cäsaren und Päpste zur Hauptstadt des neuen Reichs umzuformen: der Tiber soll regulirt werden, auf dem Kapitol sollen dereinst das italienische Par¬ lamentsbaus und die Paläste der grossen Verwaltungen und Ministe¬ rien thronen, die Campagna will man mit unabhängigen Ackerbauern und Kolonistenzuzug versehen, dass sie wieder zurKornkammer gedeihe; den Albaner See und den Lago di Bracciano sollen neue Wasserleitun¬ gen mit der Stadt verbinden, die alten Wasserleitungen nach Tivoli und zu den Quellen des Aniene will man wieder hersteilen; die Sümpfe sollen ringsum ausgetrocknet, die ehemaligen grossen Verkehrsadern ausgegraben und gepflastert oder mit Eisenbahnen vertauscht werden. — Die Stadt soll aufhören, die Er¬ innerung an das Mittelalter zu bie¬ ten ; die Neuerungen von Paris und London kommen auch ihr zu theil und werden sie auf das Niveau der Grossstädte erheben; dagegen das antike Rom, Forum, Palatin und theilweise der Esquilin sind gewal¬ tige Nationalmuseen unter offenem Himmel geworden , in Form öffent¬ licher Spaziergänge zwischen den Trümmern der Alten Welt. Trachten und Sitten beginnen ihre specifischen Eigenthümlich- keiten zu verlieren, noch sieht man das reiche, buntseidene Mieder und das grosse Busentuch der Trcisteverinnen, den blauen Kittel, blaue Weste, blaue Hosen des Arbeiters vom Land mit seinem schwarzen Pylonenhut und mit dem zottigen Ziegenfell um den Oberschenkel, den Schnitter im spitzen Filzhut mit kurzen Bein¬ kleidern und Ledersandalen, dem erdfarbigen Tuchkittel und dem vielfach verschlungenen Lederriemen um die weiss umwickelten Füsse, den Garretiere di Vino, den der graue Filzhut mit Schnabel¬ rand, der erdfarbige Tuchrock, dunkle Tuchhosen, bis zudenKnieen. reichende starklederige Gamaschen, das rothe, lose Tuch um den Hemdkragen und die dunkelbraune Weste auszeichnen (man muss ihn hinter seinem federgeschmückten Maulthier auf seinem Wagen in dem wunderlichen, kleinen Verdeck gemüthlich liegen sehen, nur mit seinem in Ziegenfelle gehüllten Jungen, dann hat man den pittoresken Vollgenuss). Noch trägt die Amme (Balia) die roth gefältelte Krause hinten auf dem schwarzen Zopf und durch den¬ selben horizontal eine Silbernadel mit Blumenkrone und Blatt, über den Rücken ein in ein Dreieck gefaltetes buntes Shawltuch mit