die französisch-russische Anregung im englischen Ministerrat warm vertreten, und das Kabinett hat sich seinem Votum angeschlossen. Es ist beschlossen worden, in erster Linie ein Marineabkommen ms Auge zu fassen, und die Verhandlungen in London zwischen der englischen Admiralität und dem russischen Marineattache stattfinden zu lassen. Die Befriedigung der russischen und französischen Diplo¬ matie über diese erneute Überrumpelung der englischen Poli- tiker ist groß. Man hält den Abschluß eines formellen Bund- nisvertrages nur noch für eine Frage der Zeit. Um dies Ergebnis zu beschleunigen, würde man in St. Petersburg sogar zu gewissen Scheinkonzessionen an England in der persischen Frage bereit sein. Die zwischen den beiden Mächten in dieser Hinsicht in letzter Zeit aufgetauchten Meinungs- Verschiedenheiten haben noch keine Erledigung gefunden. Russischerseits arbeitet man vorläufig mit beruhigenden Ver- sicherungen wegen der Besorgnis, die in England im Hin- blick auf die Zukunft Indiens in neuerer Zeit wieder hervor- getreten sind. IV. Juni 1914. Man ist in Peters¬ burg und London sehr beunruhigt we- gen der französischen Indiskretion über die russisch-englische Marinekonvention. Sir Edward Grey befürchtet Anfragen im Parlament. Der Marineattache, Ka- pitän Wolkow, der einige Tage in Pe- tersburg gewesen ist, vermutlich um In- struktionen für die Verhandlungen in Empfang zu neh- men, ist nach London zurückgekehrt. Die Verhandlungen ha- benbereitsbegonnen. V. Juni 1914. Im Unterhause wurde von mini- sterieller Seite an die Regierung die Anfrage gerichtet, ob Großbritannien und Rußland jüngst ein Marineabkommen abgeschlossen hätten, und ob Ver- Handlungen zwecks Abschluß einer solchen Vereinbarung unlängst zwischen den beiden Ländern stattgefunden hätten oder gegenwärtig im Gange seien. Sir Edward Grey nahm in seiner Antwort Bezug auf ähnliche im Vorjahre an die Regierung gerichtete Anfragen. Der Premierminister habe damals, so fuhr Sir Edward fort, geantwortet, es bestünden für den Fall des Ausbruches eines Krieges zwischen europäischen Mächten keine unveröffent- lichten Vereinbarungen, die die freie Entschließung der Re- gierung oder des Parlaments darüber, ob Großbritannien an einem Kriege teilnehmen solle oder nicht, einengen oder hem- men würden. Diese Antwort sei heute ebenso zutreffend wie vor einem Jahre. Es seien seither keine Verhandlungen mit irgend einer Macht abgeschlossen worden, die die fragliche Er- klärung weniger zutreffend machen würden; keine derartigen Verhandlungen seien im Gange, und es sei auch, soweit er urteilen könne, nicht wahrscheinlich, daß in solche eingetreten werden würde; wenn aber irgend ein Abkommen abgeschlossen werden sollte, das eine Zurücknahme oder eine Abänderung der erwähnten letztjährigen Erklärung des Premierministers nötig machen sollte, so müßte dasselbe seiner Ansicht nach, und das würde auch wohl der Fall sein, dem Parlament vor- gelegt werden. Die englische Presse enthält sich in ihrer großen Mehrzahl jeglicher Bemerkungen zu der Erklärung des Ministers. Nur die beiden radikalen Blätter „Daily News" und „Manchester Guardian" äußern sich in kurzen Leitartikeln. Die erstgenannte Zeitung begrüßt die Worte Sir Edward Greys mit Genugtuung und meint, sie seien klar genug, um jeden Zweifel zu zerstreuen. England sei nicht im Schlepp- tau irgend eines anderen Landes. Es sei nicht der Vasall Nußlands, nicht der Verbündete Frankreichs und nicht der Feind Deutschlands. Die Erklärung sei eine heilsame Lektion für diejenigen englischen Preßleute, die glauben machen woll- ten, daß es eine „Tripleentente" gebe, die dem Dreibund wesensgleich sei. Der „Manchester Guardian" hingegen ist durch die Er- klärung des Ministers nicht befriedigt. Er bemängelt ihre gewundene Form und sucht nachzuweisen, daß sie Auslegungen zulasse, die das Vorhandensein gewisser, vielleicht bedingter Verabredungen der gerüchtweise verlautbarten Art nicht durch- aus ausschlössen. — Die Erklärung Sir Edward Greys ent- spreche einer ver- traulichen Äußerung einer Persönlichkeit aus der nächsten Umgebung des Mi- nisters: „Er könne aufs ausdrücklichste und bestimmteste ver- sichern, daß keinerlei Abmachungen mili- tärischer oder mariti- mer Natur zwischen England und Frank- reich bestünden, ob- wohl der Wunsch nach solchen auf fran- zösischer Seite wie- derholt kundgegeben worden sei. Was das englische Kabi- nett Frankreich abge- schlagen habe, werde es Rußland nicht ge- währen. Es sei keine Flottenkonvention mit Rußland ge- schlössen worden, und es werde auch keine geschlossen werden." VI. Juni 1914. Sir Edward Grey hat offenbar das Be- dürfnis empfunden, den Ausführungen des „Manchester Guardian" über seine Jnterpellationsbeantwortung in Sachen der angeblichen eng- lisch-russischen Flottenentente sogleich nachdrücklich entgegen- zutreten. Die „Westminster Gazette" bringt an leitender Stelle aus der Feder Mr. Spenders, der bekanntlich zu den intimsten politischen Freunden Sir Edward Greys gehört, ein Dementi, das an Bestimmtheit nichts zu wünschen übrig läßt. Es ist darin gesagt: Es besteht kein Flottenabkommen und es schweben keine Verhandlungen über ein Flottenabkommen zwischen Großbritannien und Rußland. Niemand, der den Charakter und die Methoden Sir Edward Greys kenne, werde auch nur einen Augenblick annehmen, daß die von ihm abgegebene Erklärung bezwecke, die Wahr- heit zu verschleiern. VII. .... Iuni 1914. Daß die Erklärung Sir Edward Greys im englischen Unter- Haus über das russisch-englische Marineabkommen von der öffentlichen Meinung in England so bereitwillig akzeptiert worden ist, hat hier und in Petersburg große Erleichterung hervorgerufen. Die Drahtzieher der Aktion hatten schon be- fürchtet, daß der schöne Traum des neuen Dreibundes aus- geträumt sein könne. Es fällt mir übrigens schwer daran zu glauben, daß es dem „Manchester Guardian" allein beschieden gewesen sein sollte, den Trick zu durchschauen, dessen sich Sir Edward Grey bediente, indem er die Frage, ob Verhandlungen Die Post passiert, die Vorposten. Nach einer Skizze des im Felde weilenden Mitarbeiters der „Jllustrirten Zeitung" O. I. Olbertz. 146