im Süden die Herzen beherrscht, daß Deutschland einig und also unüberwindlich ist. Der folgende Tag, der 2. August, der als erster Mobilmachungstag gelten sollte, war ein Sonntag. Da strömten allenthalben in prote- stantischen wie in katholischen Lan- den die Massen in die Gotteshäuser, um den Höchsten um Schutz und Sieg anzuflehen. Der Kaiser hatte am 31. Juli das Volk von Verlin aufgefordert, in die Kirchen zu gehen und Gott um Sieg für unsere braven Truppen zu bitten. Aber es hätte dieses Kaiserwortes nicht bedurft, das Volk folgte dem eigenen Drange. Denn schon in den ersten Tagen des Krieges erwachte in den Massen wieder die Frömmigkeit, die hie und da fast erstorben schien. Gerade in diesem und dem vorhergehenden Jahre hatte eine größere Kirchen- austritts-Vewegung in Verlin ein¬ gesetzt, die in vielen anderen Städten, teilweise sogar auf dem Lande, Nach- ahmnng gefunden hatte. Das alles war jetzt mit einem Male vergessen. Auf den Straßen und Plätzen Verlins stand das Volk zu Tausenden und sang „Ein' feste Burg ist unser Gott", und Ahnliches ereignete sich in vielen anderen Städten. Das Volk drängte sich fast überall zu den Gottesdiensten, und die Ausziehenden nahmen noch einmal mit ihren Angehörigen vor dem Scheiden das Heilige Abendmahl. Dabei trat es zutage, wie tief der Krieg einschnitt in das Leben eines so waffentragenden, wehrhaften Volkes, wie es das deutsche ist. In manchen Orten stand der dritte Teil aller erwachsenen Männer vor den Altären, und wie viele davon p waren Familien- §1 väter, die Weib und Kind, oft ein gan- 1 zes Häuflein von ' ' 1 Kindern, zurück¬ lassen mußten! — Nicht wenige gin- gen sicherlich schwe- ren Herzens ins Feld, besonders wenn die Ihrigen ärmlichen Ver- Hältnissen zurück- blieben. Aber jam- mern und klagen hörte man nirgend- wo. Es zeigte sich, was für deutsche Sir Edward Erey Herzen der Begriff britischer Minister des Auswärtigen. der Pflicht bedeutet. Es ist die Pflicht eines jeden wehrhaften Deutschen, sein Vaterland zu verteidigen und so wird sie erfüllt. Das muß sein und ist dem deutschen Volk auch, Gott sei Dank, in Fleisch und Blut übergegangen. Unendlich vieles aber tat in diesen Tagen unser Volk, was nicht die Pflicht, was die Begeisterung gebot. Bismarck hatte einst geweissagt: Wenn der Kaiser rufe, so werde ganz Deutschland auffliegen wie eine Pulvermine von Memel bis zum Bodensee. Das Wort ward jetzt Wahrheit. Die ganze Nation erhob sich auf den kaiserlichen Ruf hin und eilte zu den Waffen. Vor allen Din- gen gilt das von der deutschen Jugend. Wie sie sich gezeigt hat in den ernsten Tagen, das ist über alles Lob erhaben. Es klingt doch fast wie ein Märchen, wenn man be- richten muß, daß ziemlich eine Million und siebenhunderttausend Kriegs- freiwillige sich zur Fahne meldeten. Kein Stand bildete eine Ausnahme. Daß die Kaisersöhne sämtlich ins Feld zogen, entsprang alter Hohenzollern- tradition. Aber auch viele Bundes- fürsten, ihre Söhne, Brüder und Verwandten begaben sich zur Armee, und ihnen gleich tat es das ganze Volk. Der Bauernsohn und der Arbeitersohn standen da neben dem jungen Manne aus vornehmem Hause an den Schaltern der Bahnhöfe und beide hatten das- selbe Ziel: die nächste Garnisonstadt, wo sie sich zum Waffendienst melden wollten. Die obersten Klassen fast aller Gymnasien und Realschulen hörten auf zu bestehen, denn ihre Insassen rückten ins Feld, oftmals Lehrer und Schüler gemeinsam. Von den Kriegsfrei- willigen der Ver- liner Hochschulen hätte allein ein gan- zes Regiment gebil- det werden können. Scharenweise, zu Hunderten und zu Tausenden zogen die jungen Leute in die Garnison- städte ein, Unglück- lich.roenn siezurück- gewiesen werden mußten, selig, wenn sie bei einem Regi- mente noch ange- nommen werden konnten. Manche reisten von Stadt zu Stadt, um doch noch irgendwo Un- H. ö. Asquith terkunft zu finden, britischer Premierminister. Georg V. König von Großbritannien und Irland. 24