Die Kaiserfrage 175 Bei allen Anlässen seiner langen Regierungszeit hatte er sich in star¬ ken und wirksamen Worten zu der Gemeinsamkeit mit dem Heere und zu edlen Grundsätzen der Regierungsführung bekannt. Auch wo Kritik an seinen Handlungen und Worten gelegentlich laut wurde, — ganz besonders war das im Spätherbst 1908 bei der „Daily-Tele- graph"-Affäre der Fall — war doch die Kritik immer mit persönlicher Achtung für die edlen menschlichen Eigenschaften des Monarchen ver¬ bunden, an die niemand zu rühren wagte. Für das große deutsche Heer und die Marine aber bildete die Persönlichkeit des Kaisers als des Obersten Kriegsherrn den Hauptinhalt ihres staatlichen Denkens. Wer daran rührte, versündigte sich an dem Geiste jener Kraft, die nun schon seit über vier Jahren das deutsche Reich vor der Über¬ schwemmung mit feindlichen Truppen bewahrt hatte. Auch im Auslande, besonders in den angelsächsischen Ländern, hatte man diese Zusammenhänge wohl begriffen. Nach dem Urteil zweier amerikanischer Diplomaten, das dem Prinzen Max von Baden bekannt wurde, bildete das deutsche Heer auch im Herbst 1918 noch einen gewaltigen Machtfaktor. Sie betonten, der Kaiser sei „keine harmlose Null", sondern eine starke, in der Geschichte fest umrissene Persönlichkeit. Wer bürge dafür, daß er nicht mit seinen Getreuen plötzlich einen Umschwung herbeiführe? Für Hunderttausende scheine tatsächlich alles Hassenswerte und Gefährliche Deutschlands in den Persönlichkeiten des Kaisers und des Kronprinzen verkörpert13 14. Des¬ halb legte man in Amerika den größten Wert auf die Abdankung des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen. Aus Bern berichtete am 25. Oktober Fürst Ernst zu Hohenlohe- Langenburg, der als Führer der deutschen Kommission mit amerika¬ nischen Delegierten über Gefangenenfragen verhandelte, daß Wilsons dritte Rote nach allgemeinem Urteil auf die „Resignation" des Kai¬ sers abziele. Aus München telegraphierte der dem Kaiser menschlich treu ergebene Gesandte v. Treutler, daß der bayerische Ministerpräsi¬ dent und der Kriegsminister der Ansicht seien, Wilsons dritte Rote lasse keine andere Deutung zu als den Rücktritt des Kaisers. „In jedem Falle treten die Genannten dafür ein, daß Seiner Majestät offen dargelegt werden müsse, daß die Feinde keinen annehmbaren Frieden bewilligen würden, wenn das große Opfer nicht gebracht würde. Wenn dann Seine Majestät Verzicht leistet auf die Kaiser¬ würde, so würde er nur im Geiste seines 26jährigen Friedenswerkes handeln und dieses krönen. Seine Gestalt würde als die des hoch¬ herzigsten, edelsten und aufopferndsten Wohltäters des deutschen Vol¬ kes in der Geschichte weiterleben" ". 13 Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, S. 533. 14 Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918, Nr. 77.