172 Die rein politische Kriegsleitung „Die deutsche Regierung hat von der Antwort des Präsi¬ denten der Vereinigten Staaten Kenntnis genommen. Der Prä¬ sident kennt die tiefgreifenden Wandlungen, die sich in dem deut¬ schen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die Frie¬ densverhandlungen werden von einer Volksregierung geführt, in deren Händen die entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und verfassungsmäßig ruhen. Ihr sind auch die militärischen Gewal¬ ten unterstellt. Die deutsche Regierung sieht nunmehr den Vor¬ schlägen für einen Waffenstillstand entgegen, der einen Frieden der Gerechtigkeit einleitet, wie ihn der Präsident in seinen Kund¬ gebungen gekennzeichnet hat. gez. Sols Staatssekretär des Auswärtigen Amtes." Mit der Auflösung der österreich-ungarischen Front mußte nun¬ mehr auch mit einer Gefährdung Deutschlands von Süden und Süd- osten her gerechnet werden. Damit schwanden die letzten Voraus¬ setzungen für eine längere und entscheidende Fristung des Widerstan¬ des an der Westfront. Im Berliner Kriegskabinett erkannte man diese Gefahr und setzte alles daran, durch Befragung hervorragender Generale ein klares Bild von der wirklichen Lage an der Westfront zu gewinnen. Zunächst waren es die Generale v. Mudra und v. Gallwitz, denen man in der Staatssekretär-Sitzung vom 28. Oktober das Wort gab. Sie beide waren der Meinung, daß eine neue Offensive unsern Feinden teuer zu stehen kommen würde, und daß die deutschen Trup¬ pen, im Kern noch gut, durchhalten würden, wenn die demoralisie¬ renden Wirkungen der Heimat aufhörten. In diesem Sinne richtete General v. Gallwitz einen starken Mahnruf an die Führer der So¬ zialdemokratie. Die in Rücksicht auf die Verhandlungen mit Wilson in unziem¬ licher Eile in drei Tagen durchgepeitschten Verfassungsänderungen hatten inzwischen ihren Abschluß gefunden. Eine Kriegserklärung im Namen des Reiches war hinfort an die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags gebunden. Der Reichskanzler bedurfte zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Die Ernennung, Be¬ förderung und Verabschiedung von Offizieren und Beamten erfolgte hinfort unter Gegenzeichnung des Kriegsministers. Mit Recht er¬ klärt Prinz Max von Baden in seinen Erinnerungen, daß nicht der Inhalt dieser Gesetzgebung, sondern der Zeitpunkt unwürdig war: „Wir besserten an unseren inneren Einrichtungen, während die le¬ bendige Mauer einzustürzen drohte, welche die Heimat schützte!"