84 Die rein militärische oberste Kriegsleitung Die Frontlinie war verschlechtert, und beide Flanken forderten den Gegner zu Angriffen heraus. Trotzdem hielt die O.H.L. zunächst noch an ihrem Plane fest, zur Ermöglichung des „Hagen"-Angriffes gegen die Engländer Truppen zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht abrollen zu lassen. Schon am 16. Juli abends begannen aus der Gegend von Reims die ersten Züge zu laufen, und Luden¬ dorff selbst begab sich in der Nacht vom 17./18. Juli in das Haupt¬ quartier des Kronprinzen Rupprecht, um sich über den Stand der dortigen Vorbereitungen zu unterrichten. Dort ereilten ihn am 18. Juli in Tournai die ersten Nachrichten über einen starken französischen Tankangriff südwestlich Soissons. Ein großer Einbruch in die Stellungen der 7. und 9. Armee war erfolgt. Eine Katastrophe konnte gerade noch abgewendet werden, doch erwies es sich als nötig, die Front zurückzunehmen und in die Aisne-Vesle- Stellung zurückzugehen. Die ganze dortige Front wurde auf Abwehr eingestellt. Der entscheidende Augenblick war gekommen, die Initiative der deutschen O.H.L. verloren gegangen. Ludendorff war sich darüber völlig klar. „Ob und wie es gelingen würde, nach Beziehen der Vesle-Stellung die Initiative wiederzugewinnen, darüber konnte ich mir jetzt noch keine Rechenschaft ablegen... Der Versuch, die Völker der Entente durch deutsche Siege vor Ankunft der amerikanischen Verstärkungen friedenswillig zu machen, war gescheitert. Die Schwungkraft des Heeres hatte nicht ausgereicht, den Feind entschei¬ dend zu treffen, bevor der Amerikaner mit bedeutenden Kräften zur Stelle war. Ich war mir klar bewußt, daß dadurch unsere Gesamt¬ lage sehr ernst geworden war."" So war es in der Tat. Die Lage war eingetreten, von der Kron¬ prinz Rupprecht in seinem Briefe an den Reichskanzler vom 1. Juni 1918 gesprochen hatte": „Jetzt haben wir noch Trümpfe in der Hand — nämlich die Drohung mit in Bälde sich verwirklichenden neuen Angriffen —, später, wenn diese Angriffe einmal erfolgt sind, nicht mehr." Jetzt mußte bei niedergehender militärischer Konjunktur der Versuch gemacht werden, mit den Mitteln der Politik zu einem er¬ träglichen Frieden zu gelangen. Der Mann, dem diese unerhört schwere und eigentlich unlös¬ bare Aufgabe zufiel, war der soeben erst ernannte Staatssekretär v. Hintze. Von der Art, wie er diese Aufgabe zu lösen suchte, und von den Erfolgen, die ihm dabei beschieden waren, hing Deutschlands Schicksal ab. 5 Erich Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen. S. 543 u. 545. ° Vergl. oben S. 68/69.